Originaltitel: MEGALOPOLIS

USA 2024, 138 min
Verleih: Constantin

Genre: Drama, Fantasy, Liebe

Darsteller: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Laurence Fishburne, Jason Schwartzman, Shia LaBeouf, Dustin Hoffman, Jon Voight

Regie: Francis Ford Coppola

Kinostart: 26.09.24

  • Film des Monats

Megalopolis

Ein unzerstörbarer Werkstoff, das Gewebe der Zeit und der Stoff, aus dem die Träume sind – das Mega-Kino eines Altmeisters

Nach dem Filmfestival in Cannes klafften die Kritiken zu Francis Ford Coppolas MEGALOPOLIS in Teilen extrem auseinander. Was hat der 85jährige Altmeister mit diesem Film fabriziert? Ein Desaster oder einen Geniestreich? Den eigenwilligen Abschluß seines künstlerischen Schaffens? Oder einen egomanischen Rohrkrepierer am Ende der Schaffenskraft? Ist der Film eine philosophische Reflexion über Sein und Zeit und den Untergang eines Imperiums in fulminanten Bildern? Oder doch eher pseudointellektuelles Geblubber im Look visuell protzenden Kunstgewerbes? Manche Kritiken sahen das eine, manche das andere. Und die etwas intelligenteren zogen gar in Betracht, daß MEGALOPOLIS vielleicht alles zusammen, also gelungen und mißraten zugleich, sei.

In MEGALOPOLIS kippen die Welten und Zeiten, Utopie, Gegenwart und Geschichte, Realität und Traum ineinander: Caesar Catalina heißt da etwa schon mal recht programmatisch antikisierend der Held des Films. Als einflußreicher, visionärer Architekt und Erfinder des so formbaren wie unzerstörbaren Werkstoffes Megalon will Caesar, dieser vom Schicksal und den Göttern Auserwählte, den an allen Ecken und Enden bröckelnden Moloch New York – hier: City Of New Rome – in die ultimative Metropole der Zukunft, ach was, in den Architektur gewordenen Traumzustand einer Zeitlosigkeit, in eine dauerfluide Ewigkeitsmanifestation reiner urbaner Schönheit verwandeln. Daß Caesar dafür auch mal ganze Stadtbezirke abreißen läßt und somit die ohnehin schon explosiven sozialen Spannungen anheizt, verbucht der Mann als notwendiges Gegenwartsübel im Namen einer verheißungsvollen Zukunft. Caesars Gegenspieler ist Bürgermeister Franklyn Cicero, sozusagen ein Mann aus und mithin Befürworter von Stahl und Beton. Ein Reaktionär mit Intelligenz und Charisma, machtbewußt und, so es sein muß, frei von Skrupeln. Woran sich auch nichts ändert, als Ciceros Tochter Julia und Caesar in Liebe zueinander entflammen.

Was noch nicht alle Handlungsstränge sind, die MEGALOPOLIS in epischster Breite aufmacht. Als ein mit Hollywood-Stars gespicktes Fresko der Intrigen und Komplotte, als überbordendes Abbild einer Gesellschaft, die im dekadenten Brot-und-Spiele-Modus deliriert und unfähig ist, ihren eigenen, von populistischen Manipulatoren forcierten Untergang auch nur ansatzweise wahrzunehmen. Daß MEGALOPOLIS in aller Überhöhung dabei auch ganz konkret auf die amerikanische Gegenwart zielt, ist so offenkundig, daß es schon peinlich ist, es zu erwähnen. Schauen wir also schnell auf Interessanteres. Seit den frühen 80ern arbeitete Coppola sich mit zig Drehbuchentwürfen an seinem MEGALOPOLIS-Stoff ab. Ein Stoff, der Themen umkreist, die im Œuvre des Regisseurs indes nicht neu sind. Ums an Beispielen zu illustrieren: In JACK altert der Titelheld viermal schneller, als es Menschen gemeinhin tun. In JUGEND OHNE JUGEND geht es um einen 70jährigen Professor, der sich um 35 Jahre verjüngt und in zwei identischen Körper inkarniert. In der reizvollen Horror-Phantasie TWIXT spielt ein Glockenturm mit sieben Ziffernblättern eine entscheidende Rolle. Und das auch ein Kostümschinken wie BRAM STOKER’S DRACULA Segen und Fluch von begrenzter und unbegrenzter (Lebens-)Zeit thematisiert, liegt bei einem Vampir-Sujet auf der Hand.

Daß jetzt MEGALOPOLIS-Caesar in der Lage ist, für magische Augenblicke und im wahrsten Sinne die Zeit anzuhalten, setzt somit ein altes Gedankenspiel Coppolas fort. Oder ihm die Krone auf. Daß die eine Narrenkrone ist, will man gar nicht abstreiten ob eines Films, bei dem Spekulationen über das Gewebe der Zeit und die Grenzen menschlichen Bewußtseins im Kreis jagen wie die wilden Gäule beim großen Pferdewagenrennen in der Arena der City Of New Rome (ja ja, Filmzitat). Wer davon freilich Antworten auf irgendwas erwartet, ist selber schuld. Coppola zeigt die Welt und die Menschen als den Stoff, aus dem die Träume sind. Die Kinoträume. Kinokritik, wie richtig oder falsch auch immer, bleibt daran gemessen zwangsläufig, was sie ist: eine Profanität des Momentanen.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.