Es gibt ja Filme, die spiralförmig arbeiten, sich langsam steigern und auf ein Paukenschlag-Finale hinarbeiten. MEIN GLÜCK dagegen macht vom ersten Moment an klar, was den Zuschauer mehr als zwei Stunden lang erwartet: Das Bild nimmt die Position einer Leiche ein, welche irgendwo im Nirgendwo entsorgt wird. Angenehm geht anders, was sich im weiteren Verlauf nie ändert.
Mittendrin, quasi als Gefangener der Situation, schaut Lastwagenfahrer Georgy nach dem richtigen Weg, um seine Lieferung zuzustellen. Doch das ukrainische Hinterland erweist sich als häßlicher Alptraum, bevölkert von ebensolchen Bewohnern. Georgy verärgert eine minderjährige Hure, gerät zum Opfer dreier Penner, ein mysteriöser Alter sitzt auch plötzlich im LKW, um seine ziemlich fiese Lebensgeschichte zu erzählen. Nahezu vergeblich sucht man da einen roten Faden, bruchstückhaft reihen sich Figuren, Situationen und Begegnungen aneinander, Charakterzeichnung existiert fast ebenso wenig wie Emotionen oder Aufatmen.
Stattdessen springt der Film immer wieder zwischen verschiedenen Zeit- und Plotebenen umher, präsentiert sich als finsteres Puzzle, will geknackt sein, während die Kamera förmlich an den Darstellern klebt, ihnen nicht nur nahekommt, sondern sie praktisch schon bedrängt. Intimsphäre? Gibt es nicht, alles muß gnadenlos enthüllt werden, vor allem natürlich krasse Details, denn MEIN GLÜCK ist wahrhaft keine Freude, sondern zieht den Zuschauer permanent runter – mit beiläufiger Gewalt, langen Beobachtungen eines Staates, den man wirklich nicht besuchen möchte, und seinen bestenfalls unsympathischen Menschen.
Tatsächlich bleibt nichts unversucht, der Ukraine ein möglichst abschreckendes Image zu verpassen: Wiederkehrende Themen sind unter anderem Krieg, Brutalität, humane Verrohung. Da lauert der Tod an jeder Ecke, hinter jeder Gardine, in jedem Wort. Was, um mal wieder den Bogen zur Handlung zu schlagen, ganz zwangsläufig auch Georgy erfahren wird, erleben muß, denn seine Freundlichkeit und Unschuld haben in solcher Ödnis keinen Platz. Der Mann treibt durch diese nachtschwarze Mär ebenso wie der Zuschauer, beiden fehlt jeglicher Halt, man muß da durch, wenn man es denn will.
Haßliebe im Kino war noch nie stärker, die Ratlosigkeit nach dem – wenig überraschend – verdammt krassen Ende selten ausgeprägter. So laßt denn alle Hoffnung fahren!
Originaltitel: SCHASTYE MOE
D/Ukraine/NL 2010, 127 min
Verleih: Farbfilm
Genre: Drama
Darsteller: Viktor Nemets, Vladimir Golovin, Alexei Vertkov, Dimitriy Gotsdiner, Olga Shuvalova
Regie: Sergei Loznitsa
Kinostart: 03.02.11
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...