George Tabori war nicht nur einer der letzten Ritter des Absurden Theaters. Er gehörte auch zu jenen, von denen die Bühnenkollegen – und zwar schon zu Lebzeiten – mit Liebe sprachen, nicht nur mit Respekt. Bislang hat sich das Kino, mit dem er selbst ein paarmal als Drehbuchautor flirtete, mit Liebeserklärungen an den großen Aber- und Auschwitzereißer weitgehend zurückgehalten. Nun wagt sich der Schweizer Urs Odermatt an eine Verfilmung der grellen Hanswurstiade „Mein Kampf“, mit der Tabori ganz nebenbei den Gattungsbegriff „theologischer Schwank“ in die Theatergeschichte einführte.
Ein Obdachlosenasyl in der Wiener Blutgasse wird Schauplatz der Geburt des Bösen: Schlomo, fliegender Buchhändler mosaischer Herkunft, flexibel für Kundenwünsche nach theologischer wie pornographischer Erbauungslektüre, bettet hier sein Haupt zwischen Wanzen und anderen Lebenskünstlern. Während er über einen Titel für seine Memoiren nachdenkt („Schlomeo und Julia“ wird schnell verworfen), tritt ein Häufchen Elend namens Adolf Hitler ein, und zwar ohne anzuklopfen. Der jugendliche Freizeitmaler mit hochtrabenden Akademieplänen braucht nicht nur Nachhilfe in Sachen Benimm. Er braucht Zuspruch, ein gestutztes Bärtchen und viel pflegerische Geduld – auch wenn die einem bei seinen intellektuell verwirrten Politmonologen vergehen möchte. Schlomo hilft, wo er kann.
Mit dieser vom Titel bis zu den närrischen Fußnoten prächtig-deftigen Bühnenfarce verstieß Tabori einst lustvoll gegen das geltende Ernsthaftigkeitsgebot für jüdisch-deutsche Fragen. Einen solch wunderbaren Vorwurf kann man Odermatt heuer nicht machen. Leidlich schnitzt er ein Film-Wien um 1910 zusammen, durch das Wurschtsuppendampf und Arme-Leute-Dreck weht, aber nicht der surreale Hintersinn eines Tabori. Irgendwo in seinem kulissenhaften Bühnennaturalismus hat Odermatt den Blick für die wirklichen Schätze der dramatischen Vorlage verloren: für das Nebeneinander von Weisheit und Blödsinn sowie die unglaubliche Tabori-Frechheit, der „landwirtschaftlichen Erscheinung“ Hitler sogar die Hauptrolle in der eigenen Biographie abzusprechen.
Zuletzt zwei gute Nachrichten: Nein, Götz George spielt nicht Hitler, und ja, Tom Schilling hat Sprachunterricht in Ober-Österreichisch genossen.
D/Österreich/CH 2009, 109 min
FSK 12
Verleih: Projektor
Genre: Satire
Darsteller: Götz George, Tom Schilling, Elisabeth Orth, Bernd Birkhahn, Wolf Bachofner, Anna Unterberger
Regie: Urs Odermatt
Kinostart: 03.03.11
[ Sylvia Görke ]