Unbändiges Talent geht im besten Fall mit einem starken Willen einher. Im Falle von „La Chana“, einer Legende des Flamenco, haben wir es auch noch mit einer tiefen Seele zu tun, die einer mystischen Naturgewalt gleicht.
Die Regisseurin Lucija Stojevic porträtiert die heute 70jährige Antonia Santiago Amador, so ihr bürgerlicher Name, und zeichnet ihr aufregendes, hartes Leben nach. Denn als Roma-Frau stand ihr traditionell in der spanischen Gitanokultur eine untergeordnete Rolle zu. Bald entdeckte ihr Onkel jedoch das Talent des Mädchens, welches, wie „La Chana“ über sich selbst sagt, „zum Tanzen geboren war“, und überredete den Vater zu ersten Auftritten. Bald trat sie mit ihren noch nie gesehenen Schrittfolgen und ihrer immensen Ausdruckskraft einen Siegeszug auf den spanischen Bühnen an. Peter Sellers engagierte sie für seinen Film BOBO IST DER GRÖSSTE, Salvador Dalí gehörte zu ihren begeisterten Bewunderern, und das Publikum, live und bald auch in Fernsehshows, kam gar nicht heraus aus dem Staunen, mit welchem Tempo man Füße überhaupt bewegen kann. „La Chana“ hatte die Chance, die ganze Welt mit ihrer einzigartigen Weise, den Flamenco zu interpretieren, zu erobern. Doch es gab mittlerweile einen Ehemann, der sie zum Gehorsam zwang und zuschlug, wenn ihm etwas nicht paßte.
Die Bühne wurde für „La Chana“ der einzige Raum, um sich auszudrücken, ihr Tanz „ein Labyrinth tiefster Bedürfnisse.“ Vielleicht scheinen ihre unglaublichen Bewegungen auch deshalb so gar nicht von dieser Welt zu sein, weil sie ihren inneren Schrei nach künstlerischer und persönlicher Freiheit verkünden. Schließlich verbot der despotische Ehemann, den sie selbst immer nur „als Vater meiner Tochter“ bezeichnet, die Auftritte ganz. Erst, als er seine Familie verließ, konnte sich „La Chana“ langsam wieder auf ihre begnadeten Füße stellen und tanzen.
Stojevic zeigt uns eine würdevolle, stolze Frau, die bis heute Vorbild für den Flamenco-Nachwuchs ist. Obwohl sie mittlerweile nicht mehr im Stehen tanzen kann, gerät ihr Auftritt nach langer Bühnenabstinenz, selbst auf dem Stuhl sitzend, zu einem furiosen Triumph. Mit ihrer ungebrochenen Energie macht sie ganz ohne falschen Pathos, dafür aber mit viel Weisheit und Humor Mut, seine Träume und inneren Welten zu leben.
Originaltitel: LA CHANA
Spanien 2016, 85 min
FSK 0
Verleih: Temperclay
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Lucija Stojevic
Kinostart: 28.09.17
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...