Originaltitel: MON TISSU PRÉFERÉ
F/D/Türkei 2018, 96 min
FSK 12
Verleih: Grandfilm
Genre: Drama
Darsteller: Manal Issa, Ula Tabari, Souraya Baghdadi
Regie: Gaya Jiji
Kinostart: 21.02.19
Wenn wir an Syrien denken, dann denken wir wohl meist an zerbombte Häuser und leergefegte Straßenzüge, an Flüchtlinge, die mit Sack und Pack gen Grenze ziehen oder auf Booten übers Meer kommen. Das Syrien aber, in dem die junge Nahla zu Hause ist, hat so gar nichts mit diesen Bildern zu tun. Mit dem Bus fährt die junge Frau durch Damaskus, die Straßen sind voll, das Leben pulsiert.
Es sind die ersten Stunden der Revolution, die die syrische Regie-Debütantin Gaya Jiji da bebildert. Im Fernsehen wird das drohende Unheil schon erkennbar, für Nahla und ihre Familie aber geht es in diesem Frühling 2011 erst mal darum, das eigene Leben zu managen, in dem Nahla nicht besonders glücklich zu sein scheint. Die junge Frau mit den schwarzen lockigen Haaren hat oft Traurigkeit im Blick, wenn sie in den Modeladen fährt, in dem sie arbeitet und für die feine Gesellschaft Kleider repariert. Ihr Zimmer daheim teilt sie sich mit ihrer jüngeren Schwester, der genügsamen Myriam, und der harten Mutter geht es vor allem darum, ihre Töchter gut versorgt zu wissen. Umso erfreulicher die Nachricht von dem syrischen Exilanten, der aus Amerika anreist, um Nahla zu heiraten. So der Plan.
Nahla aber ist eine rebellische Natur. „Dein Leben ist langweilig“, knallt sie ihm beim gemeinsamen Kennlerntreffen an den Kopf. Von Anziehung ist da erst mal keine Spur, viel aufregender ist die neue Nachbarin, in deren Wohnung leicht bekleidete Damen und bärtige Männer ein und aus gehen. Immer mehr ist Nahla von dieser fremden Welt angezogen, immer mehr zieht sie sich in die eigenen Träume zurück, die zunehmend mit der Realität verschwimmen.
Zwischendrin braut sich der Krieg zusammen, dokumentarische Handyfilme zeigen die eskalierende Gewalt, die sich dem Leben der Familie immer weiter nähert. MEIN LIEBSTER STOFF ist ein sinnlicher Film, der bei „Un Certain Regard“ in Cannes seine Premiere feierte. Er verortet die Sehnsüchte und den Lebenshunger einer jungen Frau in einer politisch brisanten Zeit. Das ist spannend, die Sinnsuche aber scheint kurz unter der Oberfläche zu verharren. Was Nahla eigentlich antreibt, verschwimmt. Vielleicht aber ist die Emanzipation von den eigenen und fremden Erwartungen ein schwer zu formulierender, sich selbst erneuernder Prozeß? Am Ende jedenfalls steht die Chance auf etwas Neues, das ist klar. Was man für Nahlas Heimat bis heute leider nicht behaupten kann.
[ Claudia Euen ]