D 2017, 95 min
FSK 16
Verleih: Salzgeber
Genre: Dokumentation, Schwul-Lesbisch
Regie: Jochen Hick
Kinostart: 29.06.17
Die BRD in den 60ern, schwules Selbstbewußtsein keimt, muß indes gigantische Hürden, an allererster Front natürlich den von Nazi-Seite verschärften und so unverändert übernommenen §175, nehmen. Wie, darüber informiert Jochen Hicks West-Berlin-Porträt. Eine Collage, deren richtiger roter Faden sich nicht entspinnen will, allerdings auch kaum vermißt wird, während genregemäß Archivmaterial und aktuelle Interviews verschmelzen. Angesichts des Themas wäre eine gewisse Schwere nicht wirklich verwunderlich, doch verzichten die sträflich ungerecht Behandelten weitgehend auf leidende Klage, wissen selbst bei heftigen Erinnerungen und fließenden Tränen Würde zu transportieren. Derweil springt Hick zwischen Personen umher, hört zu, drängt keine Meinung auf.
Stattdessen: Launiges, Tiefschürfendes, Politisches, Erotisches, Anspruch und Unterhaltungswert. Etwas schade dabei die mangelnde Diversität, abgesehen vom kurz getätschelten Lederkerl kreiselt die Kamera meist um selbsternannte „Polit-Tunten“ namens beispielsweise Patsy l’Amour laLove und Männer, die im Abenteuerurlaub angreifendes Getier wohl mit schrillem Schrei betäuben oder der Federboa erdrosseln würden. Sei’s drum: Da erweitert in einem Rutsch Udo Walz die deutsche Sprache um das bemerkenswerte Wort „nuttös“, findet Sehnen nach einer Beziehung nebenbei Erwähnung, und wettert ein alter TV-Bericht über „unverbesserliche Parasiten der Gesellschaft an der Peripherie einer reformbedürftigen Gesetzgebung.“ Zumindest Letzteres stimmte ja, nur eben andersrum. Nicht zu vergessen einige geradezu zum Partyprotzen einladende Informationen: Wußten Sie, daß die erste Darkroom-Bar „Knolle“ hieß? Wobei solche Benennungs-Wagnisse möglicherweise universell verbreitet sind, man erinnere sich als alteingesessener Leipziger an die längst davongebrauste „Kutsche“ nebst ihres Fragen aufwerfenden Eyecatchers, die in hautenges Kleiderwerk gepreßte großbusige Dame.
Plötzlich ein brutal harter Schnitt, im Leben und auf der Leinwand; Thema AIDS. Verstorbene Freunde, Partner. Erschütternd knappe Abschiede: „Das war’s dann.“ Die jungen Wilden von damals wirken müder denn je, angezählt, zumindest bis zum gleichermaßen versöhnlichen und ungebrochen kämpferischen Schluß. Abrundung einer Pflicht-Doku für Offengeistige – außerdem all jenen ans Herz zu legender Lehrstoff, die Handtaschenweitwurf beim CSD ein mutiges Statement nennen.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...