n MEINE MÜTTER geht der Regisseur Rosa von Praunheim, Ikone des schwulen deutschen Films, einer Offenbarung nach, die ihm seine Mutter kurz vor ihrem Tode im Jahr 2000 machte: Gertrud ist nicht seine leibliche Mutter, sie hat ihn 1943 aus einem Kinderheim in Riga adoptiert. Ihr Mann arbeitete damals in der AEG-Niederlassung der Hauptstadt Lettlands, und sie hatte eine Stelle in dem Kinderheim angenommen, wo sie den kleinen Holger (Rosas bürgerlicher Vorname) kennenlernte und schließlich zu sich nahm. Mit nichts als diesen vagen Informationen macht sich von Praunheim auf die Suche nach seinen leiblichen Eltern.
Der entstandene Film ist allerdings weit mehr als die Dokumentation seiner persönlichen Geschichte, auch wenn der vor Eitelkeiten keineswegs scheue Filmemacher noch genug Platz in seinem Werk einnimmt. Er ist auch eine interessante und mahnende Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und den europaweiten Verbrechen der Nationalsozialisten geworden. Aufgrund der direkten Betroffenheit des Künstlers wird viel von der Abstraktheit des Themas weggenommen, welche zum Beispiel die so objektiven Auflistungen der öffentlich-rechtlichen Geschichts-Dokureihen erzeugen. Von Praunheim läßt Historiker, jüdische Opfer des Nazi-Terrors und vor allem Freunde sowie alte und neue Verwandte zu Wort kommen und demonstriert fortwährend, wie verwoben alles Gegenwärtige noch mit den Greueltaten und ignorantem Gedankengut der Vergangenheit ist. Kein Abhaken und Hinter-uns-lassen ist heute angebracht, sondern eine anhaltende Auseinandersetzung mit sich selbst und Hinterfragung der eigenen Identität, der eigenen Wurzeln: von Praunheim schreitet, auf Film gebannt, voran.
Auch wenn man keine oder wenig Erfahrung mit der Person und den Arbeiten des exzentrischen Regisseurs hat, bietet diese Identitätssuche reichlich Spannung, da sie keine bloße Selbstinszenierung oder Nabelschau darstellt, sondern eine erkundenswerte Geschichte enthüllt. Von Praunheim findet seine leibliche Mutter, doch damit beginnt erst die tatsächliche Aufarbeitung. Wenn Geschichtliches so persönlich wird, ist es faßbarer. Allein deshalb lohnt eine Beschäftigung mit diesem individuellen Filmdokument.
D 2007, 87 min
Verleih: Basis
Genre: Dokumentation, Schicksal, Schwul-Lesbisch
Regie: Rosa von Praunheim
Kinostart: 06.03.08
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...