Claire Denis hat in einem Interview über ihren Hang, klassische dramaturgische Strukturen zu brechen, gesagt: „Vielleicht sind meine Ellipsen manchmal zu groß. Aber meine Figuren psychologisch auszupinseln, das wäre noch schlimmer.“ Auch hier deshalb keine Verortung der Sehnsucht, die Isabelle von den Armen des einen Mannes in die nächsten treibt. Und das wäre auch zu verkraften, denn Juliette Binoche als Suchende zu erleben, füllt so manche Auslassung mit charmantem Spiel. Es reicht aber nicht aus, die zermürbenden, an der Oberfläche kreiselnden Dialoge in wechselnden Paarbesetzungen hinreichend aufzufangen.
Es ist sogar ganz explizit die von Binoche verkörperte Figur der Isabelle, die als souveräne Frau vorgeführt wird – in der Mitte ihres Lebens angekommen, erfolgreiche Künstlerin –, die den Beobachter der Szenerie ratlos fragen läßt, wann diese Frau eigentlich dazu kommt zu leben, zu arbeiten, zu schaffen. Permanent ist sie damit beschäftigt, die Befindlichkeiten unterschiedlichster Männer anzuprobieren wie Kostüme: Da wäre das Modell des selbstgefälligen Bankers, der seine Frau mit ihr betrügt, dann der wortkarge Proletarier, der sprunghafte Schauspieler, der gute Freund mit zu großen Altlasten, der Ex und Vater ihrer Tochter.
Alle Rollen und Männer wirken wie eine schlechte Verkleidung, passen nicht, genauso wenig wie Isabelles hohe Lederstiefel. Sie sind gewöhnliche Staffage. Warum nur macht sie sich klein, diese Frau, will Männer halten, die sie schlecht behandeln oder die sie selbst offensichtlich nicht schätzt? Was will Denis mit dieser Versuchsanordung erspüren lassen?
Inspiriert von Roland Barthes Texten „Fragmente einer Sprache der Liebe“ erarbeitete sie gemeinsam mit der französischen Schriftstellerin Christine Angots die Drehbuchvorlage. Die Regisseurin spricht von Agonie als „Zauberwort“, welches sie dabei geleitet habe. Soll man die Fahndung Isabelles nach wahrer Liebe, die sie offensichtlich im Zustand der Qual beläßt, als einzig sinnbringenden Kampf begreifen? Beschwört Denis seelische Pein als die althergebrachte Wunderwaffe für künstlerisches Genie?
Die Regisseurin meint, sie habe „das Heroische“ satt, und ihre Heldin Isabelle wisse, daß man, wenn man die große Liebe finden will, „von Zeit zu Zeit in Tränen ausbrechen muß.“ Lassen wir sie also weinen. Es ist schließlich ihre Zeit und Energie.
Originaltitel: UN BEAU SOLEIL INTÉRIEUR
F 2017, 94 min
FSK 12
Verleih: Pandora
Genre: Drama
Darsteller: Juliette Binoche, Xavier Beauvois, Gérard Depardieu
Regie: Claire Denis
Kinostart: 14.12.17
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...