Originaltitel: VOUS N’AUREZ PAS MA HAIN

D/F/Belgien 2022, 102 min
FSK 12
Verleih: Tobis

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Pierre Deladonchamps, Zoé Iorio, Camélia Jordana

Regie: Florian Riedhof

Noch keine Bewertung

Meinen Haß bekommt ihr nicht

... denn es geht auch ohne

Es geht immer so oder so! Heute noch klingelt einem Humanisten der beißwütige Tenor von George W. Bush als Reaktion auf 9/11 im Ohr. Norwegens Ministerpräsident Stoltenberg hingegen war unmittelbar nach Anders Breiviks 2011er-Anschlägen in Oslo und auf Utøya entschieden milder: „Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Humanität, nie jedoch Naivität.“ Auch der französische Journalist Antoine Leiris gehört zur eher milden Bürgersorte. Obwohl ihm 2015 im Pariser Liveclub Bataclan die Frau genommen wurde, überschrieb er zunächst einen Post in sozialen Medien, später dann sein 140 Seiten langes Buch mit „Meinen Haß bekommt ihr nicht.“

„Nein, ich werde Euch nicht das Geschenk machen, Euch zu hassen, auch wenn es das ist, was Ihr wollt“, heißt es da. „Auf den Haß mit Wut zu antworten, hieße, der gleichen Ignoranz nachzugeben, die Euch zu dem gemacht hat, was Ihr seid.“ Es gab Klicks en masse, eine Titelseite in Le Monde, Einladungen in Talkshows. Leiris machte seinen fressenden Kummer öffentlich und überraschte mit fehlenden Tiraden gegen die islamistischen Mörder. Der wichtigste Grund dafür wird in Kilian Riedhofs Spielfilm offensichtlich: Leiris’ damals 17monatiger Sohn Melvil.

Natürlich hat Antoine auch Wut, betrinkt sich, taucht in eine Wanne mit kaltem Wasser, wird laut gegenüber der Familie, die versucht, ihm beizustehen. Doch immer wieder wird es der kleine Melvil sein, der ihn zurückholt ins Leben eines Alltags, der sich von jetzt auf gleich gewendet hat. Als Film bleibt MEINEN HASS BEKOMMT IHR NICHT strikt bei Vater und Sohn, wobei die dreijährige Zoé Iorio als Melvil hier ein wahrlich unglaubliches Spektrum an Emotionen spielt. Der Anschlag selbst wird nicht thematisiert, ist – gottlob – nur in kurzen TV-Sequenzen zu sehen, über Martinshörner zu hören und als private SMS der Sorge zu lesen.

In jeder Minute ist die Einfühlsamkeit und Vorsicht des Regisseurs gegenüber seinen lebenden Protagonisten zu spüren, was Antoines Kontur fernab seiner Vaterrolle und Betroffener einer politisch motivierten Tat zunehmend etwas verschwimmen läßt. Immer wieder sind es die Szenen zwischen Antoine und Melvil, die den Betrachter am Schlafittchen packen. Szenen aber, die gleichsam von Menschen stammen könnten, denen die Lücke durch einen tragischen Unfall gerissen wird. Ob man es als Manko sehen will? Es geht so oder so!

[ Andreas Körner ]