Daß Dokumentarfilm und Spielfilm nicht unbedingt Kategorien sind, die sich ausschließen und – im Gegenteil – sich sogar wunderbar befruchten können, hat das Kino immer wieder aufs Neue bewiesen. Von MENSCHEN AM SONNTAG bis BORAT wurde die wichtige Frage, wie authentisch beziehungsweise wie inszeniert die Abbildung von Realität eigentlich sein kann und darf, stets neu gestellt.
Im Debüt der türkischen Regisseurin Asli Özge hat die Vermischung der Gattungen erneut einen fruchtbaren Effekt. Eigentlich plante Özge eine Dokumentation über einige Männer ihrer Generation, die ihr Geld im Zentrum Istanbuls verdienen, genauer gesagt auf der und um die Bosporus-Brücke. Sie fand ihre drei Protagonisten, den Taxifahrer Umut, den Blumenverkäufer Fikret und den Verkehrspolizisten Murat, und entwarf um deren persönliche Geschichten ein Drehbuch. Eigentlich sollten alle drei Laien sich selbst spielen, jedoch verhinderte die Einmischung der türkischen Polizei, daß Murat selbst im Film mitwirken konnte, und es kam, daß ihn nun ein Schauspieler darstellt.
Dem authentischen Eindruck von MEN ON THE BRIDGE tut dieser ungeplante Protagonistenwechsel keinen Abbruch. Wie auch, sind doch die Konflikte der drei Männer weiterhin mitten aus dem Leben: Umut verdient mit seinem Sammeltaxi zu wenig, um seiner Frau Cemile und sich jenes Leben zu ermöglichen, das sich beide wünschen. Statt ihn besser zu bezahlen, rät Umuts Chef ihm, Cemile besser öfter mal zu schlagen, dann verlöre sie schon ihre hohen Ansprüche. Fikret ist 17 und nie zur Schule gegangen. Er verkauft Rosen an die Autofahrer auf der Bosporus-Brücke, sucht aber verzweifelt nach einem neuen Job, nur um immer wieder abgewiesen zu werden. Murat hat zwar als Polizist einen soliden Beruf, ist aber einsam und verabredet sich regelmäßig mit Frauen aus Chatrooms. Doch der ruhige Polizeibeamte will einfach nicht die Richtige treffen, was sein Versprechen gegenüber seiner Mutter, bald zu heiraten, immer unerfüllbarer erscheinen läßt.
Anhand ihrer drei Hauptfiguren ist Özge nicht nur ein treffendes Generationen- sondern auch ein vielschichtiges Gesellschaftsporträt gelungen, das ohne große Polemik die Türkei in ihrer Zerrissenheit zwischen Tradition und Europakurs zeigt.
Originaltitel: KÖPRÜDEKILER
D/NL/Türkei 2009, 87 min
Verleih: Farbfilm
Genre: Dokumentation
Darsteller: Umut Ilker, Cemile Ilker, Fikret Portakal, Murat Tokgöz
Stab:
Regie: Asli Özge
Drehbuch: Asli Özge
Kinostart: 12.08.10
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...