Originaltitel: LES CHOSES HUMAINES
F 2021, 139 min
FSK 12
Verleih: MFA
Genre: Drama
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Mathieu Kassovitz, Ben Attal, Pierre Arditi
Regie: Yvan Attal
Es hätte ja nur 20 Minuten gedauert, und dafür soll jetzt das ganze Leben seines Sohnes den Bach runtergehen? So sprach der Vater eines US-Studenten vor Gericht, das eine mutmaßliche Vergewaltigung verhandelte. Der Shitstorm kam prompt.
Jetzt taucht der provokante Spruch im französischen Film MENSCHLICHE DINGE auf, den Regisseur Ivan Attal aus Fakten sowie Karine Tuils gleichnamigem Buch zu einer fiktionalen Geschichte verdichtet, ohne Tuils konsequenten Kern zu übernehmen. Sie hatte ihren Fokus auf die Eltern des Angeklagten gerichtet und sich ebenfalls auf den eingangs erwähnten „Fall Stanford“ gestützt. Auch einem Film hätte diese Konzentration gut getan. Attal aber hat anders entschieden.
Alexandre Farel landet aus den USA, wo er studiert, in Paris. Vater und Mutter sind bestenfalls am Telefon zu erreichen, denn als angesagter TV-Moderator und engagierte Autorin sind sie „Too Busy!“, um den gemeinsamen Sohn zu empfangen. Getrennt sind sie zudem, die beiden. Alexandre kontaktiert zunächst eine Ex-Liebschaft, die sich als ältere Frau mit verblichenen Avancen entpuppt, um dann doch noch bei Maman aufzuschlagen, die sich aufrichtig freut, daß der Junge da ist. Zum gemeinsamen Essen erscheint auch Mila, die Teenie-Tochter des neuen Lebensgefährten.
Ab da geht es ziemlich zackig zu. Alexandre wird verhaftet, bis hin zu seinen intimsten Präferenzen befragt, in Gewahrsam behalten und nach einem Zeitsprung von 30 Monaten verklagt, weil Mila ihn der Vergewaltigung bezichtigt hatte und das mit der angeblichen Einvernehmlichkeit im Kämmerchen noch zu klären wäre, weil sich Alexandre und Mila in kleinen Lügen und Schutzbehauptungen verstrickt haben. Bis hierhin offenbart MENSCHLICHE DINGE Tempo, Blickwechsel und schon das große Besteck von #MeToo über Feminismus- und Täter-/Opferdebatten.
Im zweiten Teil aber wird aus dem Film ein pures Gerichtsdrama, das fürwahr nicht ohne Spannung ist, ob „er hat“ oder ob er „nicht hat.“ Zeitig aber wird klar, daß diese Fragen am Ende keine eindeutigen Antworten bringen werden, weil sie vielleicht justitiabel sind, vor allem aber extrem komplex. Wirklich schade, daß der präzise und raumgreifende Blick auf Alexandres Eltern fehlt. Jean Farel ist als Figur des satten und gekränkten Promis schlicht uninteressant, Claire Farel zu blaß in ihren Motivationen und Gefühlen. Hier verspielt das Drama wichtige Punkte.
[ Andreas Körner ]