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Michel Petrucciani – Leben gegen die Zeit

Über einen genialen Jazzpianisten

„Ein Mensch zu sein bedeutet nicht, daß man zwangsläufig auch 1,80 Meter groß sein muß. Das wollen die Leute einfach nicht begreifen. In Wirklichkeit zählt doch, was man im Kopf hat, es zählt das Potential des Körpers – und eine ganz besondere Rolle spielt dabei die Seele.“

Michel Petrucciani, von dem dieses Zitat stammt, hatte seine eigenen Erfahrungen mit Größe und den an sie geknüpften Normen. Er übertrat all diese Normen, sowohl was die Größe seines Körpers, die Größe seines Talents und die Strahlkraft seiner Persönlichkeit anging. Zeitlebens litt er an der seltenen Glasknochenkrankheit, ein genetischer Defekt, der eine extreme Instabilität des Skeletts bewirkt und oft mit Kleinwüchsigkeit einhergeht. Eine Krankheit wie ein Fluch, doch statt sich von ihr niederbeugen zu lassen, rang Petrucciani der Welt in seinem kurzen Leben alles ab, was sie für ihn zu bieten hatte: Ruhm, Frauen, Ekstase.

Geboren in eine französische Musikerfamilie, wird er bereits in jungen Jahren zu einem der erfolgreichsten Jazzpianisten seiner Zeit. Seine regelmäßigen Auftritte in der Show „Willemsens Woche“ machen ihn in Deutschland einem größeren Publikum bekannt. Aus dieser Zeit rührt seine Freundschaft mit dem Moderator Roger Willemsen, der für die Doku als Koproduzent fungiert. Regisseur ist der Brite Michael Radford, zu dessen bekanntesten Filmen 1984 und DER POSTMANN zählen. Er versteht sein Handwerk und montiert visuell ansprechend Interviews mit zahlreichen Wegbegleitern, Originalaufnahmen und natürlich immer wieder Petruccianis Auftritte ineinander. Der Film folgt chronologisch dem rastlosen Leben des Pianisten, die dunklen Seiten seiner Persönlichkeit werden dabei nicht verschwiegen. So entsteht ein vielschichtiges Porträt einer faszinierenden Persönlichkeit, die uns mit der Frage konfrontiert, wer hier eigentlich behindert ist: die Menschen, die nicht der Norm entsprechen, oder die „Normalos“, die sich durch tausenderlei Ausflüchte davon abhalten lassen, ihre Träume zu verwirklichen.

Einziger Wermutstropfen: Die Dokumentation ist etwas zu lang und neigt in der zweiten Hälfte zur Redundanz. Um die x-te Konzertaufnahme noch zu genießen, muß man schon großer Fan sein. Im Gegensatz zum Menschen Petrucciani bewegt sich der Film über sein Leben in musikdokumentarisch konventionellen Bahnen.

D/F/I 2011, 103 min
FSK 0
Verleih: Polyband

Genre: Dokumentation, Biographie

Regie: Michael Radford

Kinostart: 02.02.12

[ Dörthe Gromes ]