Eines Tages will Christelle nicht mehr. Sie hat zwei halbwüchsige Jungs, ihren Mann Laurent, der sie liebt, einen Job in der Fabrik, eine Neubauwohnung. Im Bad schreit ihre Tochter, die noch gestillt werden muß. Und Christelle rennt aus der Wohnung raus, die Hände feucht. Der Wasserhahn im Bad läuft noch. Sie wird verschwunden sein, wochenlang. Laurent wird erklären, daß er das alles nicht versteht. Sie lieben sich doch. Gerade jetzt ist sie fort, wo doch die Kleine ihr erstes gemeinsames Wunschkind ist.
Er wird die Jungs in den Wagen packen und sich auf die Suche machen. Er wird Freunde befragen, ihre Familie, Kollegen. Christelles schwangere Schwester wird Laurent zur Sau machen. Der Schwiegervater wird ihm ein Chanson summen und ihn auffordern, nicht am Leben zu verzweifeln, obwohl - das will er gar nicht bestreiten - es doch eigentlich zum Verzweifeln ist. Sein bester Freund wird ihm bei der Suche helfen und dabei seiner Jugendliebe begegnen, einer tapsigen Rothaarigen, mit der er schon bald seine Frau betrügt, die sich nach einem Baby sehnt.
Laurent wird Christelle nicht finden. Dazu ist sie ihm viel zu nah. Sie versteckt sich nur zwei Wohnungstüren weiter bei der unfruchtbaren Nachbarin Claire. Christelle hat große wehmütige Augen. Sie kann nicht sagen, was mit ihr passiert. Sie kann gar nichts sagen. Nur ihr Lächeln bittet um Verzeihung. Sie sieht viel fern, kaut Chips, und aus ihren Brüsten rinnt die Milch für ihr Kind ...
Wenn es möglich ist, daß eine Mutter vor ihrem Kind und ihrem Leben davonläuft, dann ist alles möglich. Anarchie der Gefühle. Mit dieser Fanfare scheucht Dominique Cabreras Film die Helden vor sich her. Das Bemerkenswerte an diesem Film ist, wie er sich dann doch mit seinen Menschen verbrüdert: Die Kamera wackelt, wenn sie zweifeln und liebkost sie, wenn sie greinen, singen, die Zähne fletschen, mit ihrer Vergangenheit ins Bett springen.
Dieser traurige, weise Film ist ein Floh, der jedem, der ihm vor die Linse kommt, ins Fell springt um sich fest zu beißen: Und was bist du für einer? Wie stehst Du zu der Geschichte? Wonach sehnst Du Dich? Und wer, denkst Du, wird gewinnen: die Angst oder die Zärtlichkeit?
Originaltitel: LE LAIT DE LA TENDRESSE HUMAINE
F/GB 2001
Verleih: Peripher
Genre: Drama
Darsteller: Marilyne Canto, Dominique Blanc, Patrick Bruel
Stab:
Regie: Dominique Cabrera
Drehbuch: Dominique Cabrera
Kinostart: 02.01.03
[ Christian Seichter ]