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Miss Sixty

Frech, charmant und spielwütig – so komisch kann deutsches Kino sein

Der Empfang ist zugleich Abschied und der auch noch unmißverständlich: „ ... und tschüß!“ Ja, auf großes Bedauern seitens der Kollegen kann die Molekularbiologin Luise Jansen nicht setzen, als sie – gerade 60 geworden – frühpensioniert wird. Sie gilt als große Expertin ihres Fachs und als sehr kleines Licht, was soziale Kompetenzen angeht. Eigentlich ist sie ein ganz schönes, eigenbrötlerisches Biest, bisweilen von unorthodoxer Derbheit. Ein Beispiel? Einst brach sie Kollegin Marlies den Daumen. Sicher, sie hatte gute Gründe: „Sie hat meine Zentrifuge angefaßt!“ Und als ihr Chef am letzten Arbeitstag die küchenphilosophische Keule schwingt, Luises Ehrgeiz und Bärbeißigkeit als schnöden Penisneid diagnostiziert, da kracht es aus der Wissenschaftlerin: „Penisneid??? Das Einzige, was Männer haben können und ich nicht, ist Prostatakrebs!“ Wobei sich das letzte Wort fast wie ausgekotzt anhört ...

Vorhang auf für die Rückkehr der Vollblutkomödiantin Iris Berben, die in diesem frechen, mit pointiertem Witz aufwartenden und wirklich perfekt besetzten Lachstück zu alter „Sketchup“-Größe auffährt. Fast unglaublich, daß sich vor Regisseurin Sigrid Hoerner kein anderer Filmemacher über so viele Jahre an Berbens vielleicht größte Stärke erinnert hat. Egal, das Publikum wird’s Hoerner danken, denn ganz ehrlich: Daß man derart über eine deutsche Komödie im Kino lachen konnte, ist mit FACK JU GÖHTE nun auch schon wieder ein halbes Jahr her. Doch erst einmal der Reihe nach: Auf dem Heimweg krächzt Luise der nicht mehr ganz taufrische Galerist Frans Winther aus dem Gebüsch an: Hexenschuß! Hilfe müsse her, und die trägt Luise ihm mit einem regelrecht angewiderten Gesichtsausdruck an, als sie ihn dann doch in die nächstgelegene Klinik schleppt. Auf dem Weg dorthin und in der Ambulanz liefert sie sich mit dem selbstgefälligen, verkrampft auf jugendlich gebürsteten Typen – im übrigen selbst bereits ein 60er und trotzdem eine nicht mal halb so alte Freundin im Schlepp – ein Wortgefecht erster Güte, der Tag könnte nicht beschissener laufen. Zu Hause dann schnell eine Salve aus der Mundspraydose, Mama, mit der sie im Haus wohnt, darf vom Rauchen ja nix wissen. Diese Luise ist schon eine wunderliche Type, und Iris Berben spielt das fabelhaft aus: die zornigen Blicke, das hektische Ziehen an unzähligen Zigaretten, diese blöde Ohnmacht, das (berufliche) Zepter aus der Hand geben zu müssen – und dann quasi noch bei Mama wohnen. Einen lustlosen Versuch, um sich gewissermaßen in die Frühpensionärinnenrolle einzufühlen, startet Luise: Wassergymnastik. Nach Grabschattacken eines geriatrischen Lustfingers hat sie davon die Faxen dicke. Doch dann keimt in Luise ein Plan. Der hat viel damit zu tun, daß sie vor mehr als 20 Jahren eigene Eizellen hat einfrieren lassen, diese Eier so frisch wie am ersten Tag sind, und es an sich nur eines braucht, um den – wenn auch späten und recht spontanen – Kinderwunsch wahr werden zu lassen: Sperma. Doch wer die Wahl hat, hat die Qual. Mama mochte den Waschmaschinenmonteur aus der Spenderkartei ganz gern, schon weil ja die eigene Maschine immer wieder Grund zu Sorge ist ... Doch dann scheint der Richtige gefunden, und weil wir in einer Komödie mit charmanten Widerhaken sind, ist dieser Knabe niemand Geringeres als der Sohnemann des vom Hexenschuß geplagten Alters-Don Juan. Wiedersehensfreude sieht erst einmal anders aus ...

Hoerner feuert zu Beginn aus vollen Rohren, ihre spielfreudigen Schauspieler (Edgar Selge als Galerist Frans hält mit La Berben wunderbar mit) danken es ihr mit einer perfekt getimten Schneeballschlacht aus galligem Witz, Antipathie-Tiraden in bester Tracy/Hepburn-Manier, dem Mut zu teils abenteuerlichen Kostümierungen und schließlich einem behutsam gespielten Wandel ihrer Figuren. Denn so kann es ja nicht weitergehen: die vorerst gefrustete Furie und der eitle Berufsjugendliche – da muß ja noch was gehen. Und so versteht es Hoerner fabelhaft, eben auch davon zu erzählen, was passiert, wenn man sich aufs Abstellgleis gestellt fühlt, wenn man sieht, wie die Jahre schwinden, ihr gelingen dann durchaus ernstere Töne, gerade im Fortlauf der Geschichte, wenn sie das doch sehr schöne, manchmal zu enge Verhältnis zwischen Luise und ihrer Mutter beschreibt, von Verlust erzählt, oder sie Frans’ Grenzen am eigenen Stolz aufzeigt, als ihm seine jugendliche Geliebte für neue Abenteuer den Laufpaß gibt. Es ist toll zu sehen, wie von einer Annäherung erzählt wird, die schon deshalb nicht so einfach ist, weil das Leben der beiden doch recht viel mit Alleinsein, Eitelkeit und Arbeitswut zu tun hat, und unsere Gesellschaft so ganz allgemein an einem doch recht peinlichen Machismo laboriert, der dennoch nicht kaschieren kann, daß sich so mancher Toupetträger eben auch mal wie ein alter Witz fühlt.

Da Hoerner jedoch herzlich wenig am puren Nachschnattern schnöder Sozialphänomene gelegen ist, behält sie in ihrer warmherzigen und teils brüllkomischen Geschichte von einer Paarung wider Willen neben illustren Einfällen und einem wahrlich skurrilen Personal die gesunde Erdung und erteilt zudem in erfrischender Weise Seitenhiebe auf Bio-Eltern, Kunstidioten und Das-macht-man-in-dem-Alter-aber-nicht-Apologeten. Herrlich!

D 2014, 98 min
FSK 6
Verleih: Senator

Genre: Komödie

Darsteller: Iris Berben, Edgar Selge

Regie: Sigrid Hoerner

Kinostart: 24.04.14

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.