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Mit ganzer Kraft

... und mitten ins Herz

Diesen Augen unter langen Wimpern kann man sich nicht entziehen. Untrügerisch sind sie, in ihnen spiegeln sich ganz unverfälscht Hoffnung, Freude, Enttäuschung, Traurigkeit und Kampfeswille. Es sind Juliens Augen. Und momentan zeigt sich in ihnen oft Traurigkeit, etwa wenn sein Vater ihm nicht oder nur halbherzig zurückwinkt. Paul ist aber auch ein ziemlich introvertierter Brocken, der schon immer schlecht damit klar kam, daß sein Sohn eben anders ist als andere Kinder, daß Julien mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit braucht als Teenager, die nicht behindert sind und im Rollstuhl sitzen. Noch angespannter wird das Verhältnis, als Paul seine Arbeit verliert, und Julien seinem Vater, dem einstigen Freizeitathleten, einen kühnen Vorschlag unterbreitet, der von dem Jungen eigentlich als nicht auszuschlagender Wunsch formuliert wird: „Ich will mit Dir den Ironman machen!“

Der Vater schlägt diese Idee als blödsinnig aus, der Junge besteht darauf, schließlich sei dies vor allem sein Leben. Julien bleibt hartnäckig, bricht von zu Hause aus, und gottlob dauert es nicht allzu lange, bis dieses Schweißgeräusch aus der Garage und sein Vater kurz darauf zu hören sind: „Dieser Junge ist unglaublich!“ Genau das ist Julien, die sich tatsächlich so ähnlich zugetragene Geschichte vom Grenzenüberwinden irgendwie auch. Dabei ist sie doch genau die Art reales Märchen, welche das Leben durchaus sinnerfüllter macht.

Nils Tavernier erzählt von enormer Willensstärke, von einer vorerst schwierigen Annäherung zwischen Vater und Sohn, und ihm gelingt dies auf ungemein anrührende Weise. Auch, weil er Gemeinsamkeiten und Gegensätze zwischen den Personen so fein herausarbeitet. Paul ist vor allem wütend auf sich, seine emotionale Ohnmacht stellt ihm ein Bein, Julien hingegen kommt mit seinem Handicap an sich gut klar, ist eigentlich ein ganz normaler Teenager, der schon mal nackte Nachbarinnen beobachtet, der sich verlieben will, der aber auch andere sieht. Zum Beispiel Anna, das Mädchen aus seiner Gruppe mit dem traurigen Blick.

Es geht in MIT GANZER KRAFT um nicht weniger als Selbstbestimmung und -vertrauen, um das Überwinden von Beschränkungen in Kopf und Herz. Taverniers Film krallt sich den Zuschauer mit einem Griff mitten in die Brust, weil er als sympathisierender Erzähler ganz ehrlich bleibt, den Film mit elektronischer Musik statt der üblichen Gefühlssoße untermalt, und weil er aus Paul eben keinen großen Redner macht, dessen Blicke auf seinen Jungen daher um so liebevoller, die körperlichen und psychischen Mühen so strapaziös und ungeschönt und als doch so lohnenswert bebildert werden, daß man nicht anders kann, als mit den beiden zu weinen. Und sich dann mit Julien zu freuen. Und bei der Rede seiner Schwester zu Juliens Geburtstag gleich wieder zu heulen ...

Originaltitel: DE TOUTES NOS FORCES

F 2013, 89 min
FSK 0
Verleih: Polyband

Genre: Poesie, Tragikomödie

Darsteller: Jacques Gamblin, Fabien Héraud, Alexandra Lamy

Regie: Nils Tavernier

Kinostart: 04.09.14

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.