Originaltitel: AVEC AMOUR ET ACHARNEMENT

F 2022, 116 min
FSK 12
Verleih: Arsenal

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, Bulle Ogier, Issa Perica

Regie: Claire Denis

Kinostart: 13.07.23

1 Bewertung

Mit Liebe und Entschlossenheit

Sara, François, Jean und keine anderen

Manchmal schleicht sich ein Gefühl ins Gemüt, wonach der Franzose an sich die Amour fou dereinst am Reißbrett entwarf, nicht etwa, um Erdenmenschen im wahren Leben zum Hin- und Herbeuteln zu animieren, sondern um diesen speziellen Aggregatzustand der Liebe als Ereignis ins Kino zu bringen. Immer wieder und wieder und noch mal neu gerührt und geschüttelt. Gut, Literatur und Theater waren kulturgeschichtlich eher da, aber erst auf der Leinwand, der großen, blühen die Obsessionen, Verruchtheiten, bösen Spielchen und leidenschaftlichen Kehrtwenden furioser Lieben(der) so richtig auf. Der Kanon der Filmtheater zeugt davon und der französische ist weit vorn. Sehr weit vorn.

Es begab sich trotzdem der Tag, da man als längst von frankophilen Jägern erlegter Kinogänger glaubte, so gut wie alles von Claire Denis (77), Juliette Binoche (59) und Vincent Lindon (63) gesehen zu haben. Ein klitzekleiner bis mittelschwerer Widerstand war zu spüren, sich jetzt noch MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT anzutun, zudem der – diesmal fast original übersetzte – Titel nicht gerade eine elegante Einladung ist. Der Berlinale-Bär sowieso nicht. Daß ausgerechnet Denis im Vorjahr mit der silbernen Tatze geschlagen wurde, hat zunächst die Abwesenden verwundert. Das Staunen läßt nach, wenn man den Film jetzt tagesaktuell sehen darf. Respekt, Madame Denis, einfach nur Respekt!

Jean, Sara und François – wir begrüßen mit Grégoire Colin noch einen Dritten im Bunde – sind wie Feuerkörbe im Epizentrum der Gefühlsexplosionen. François greift als Störfall erst später ins Geschehen ein, doch im Grunde war er als Reminiszenz an früher getanzte Pas de deux immer präsent. Für Sara, eine Radiomoderatorin, war er Mann, Sexpartner, die Liebe fürs Leben und dann doch nur für einen Abschnitt davon. Für Jean, einen Ex-Rugby-Spieler, war er der Mann fürs Geschäftliche, vielleicht auch ein Freund. Knapp zehn Jahre soll es her sein, da sich Sara für eine Auswechslung entschieden hat. Irgendwann ist auch mal von Jean im Knast die Rede, doch Denis spielt dramaturgisch erneut mit Lücken und ungedeckten Schecks. Ihr Fokus bleibt konzentriert auf Jean und Sara gerichtet, die es gut miteinander haben, und es soll wirklich positiv klingen.

Schon die filmsinfonische Komposition von deliziösen Bildern zweier Liebender im Meer will am Beginn von MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT alles, nur nicht trügen. Stuart A. Staples und die Tindersticks, längst gesetzt im Denis-Universum, unterstreiche(r)n es. Auch als Sara und Jean wieder in ihren Pariser Alltag zurückkehren, knistert ein noch immer hocherotisches und selbst in lapidaren Details zugewandtes Miteinander, auch Innigkeit genannt. Wobei es, und das muß schnell nachgeschoben werden, schlicht eine Freude ist, Binoche und Lindon beim (bitte unsynchronisierten) Altern ihrer Kunst und Körper, großen Gesten und kleinen Blicke zuzusehen und zuzuhören. Es ist ein physisches Ereignis.

Jean hat augenscheinlich größere Probleme als Sara. Irgendwas mit Geld ist immer, irgendwas mit Ärger auch, auswärts in Vitry, wo seine alte Mutter lebt und das Sorgerecht hat für Jeans Sohn. Der pubertierende Marcus entstammt einer Beziehung mit einer Frau aus Martinique. Daß er in diesem Film so gut wie keinen Halt bekommt und auch die blitzlichtartigen Reflexionen von Saras Arbeit im Radiostudio verzichtbar sind, sieht sich weg, genauso wie überraschenderweise die Masken über Mund und Nase. Warum eigentlich so tun, als wären in den letzten drei Jahren Filme ohne Hindernisse entstanden?

Bald ist François präsenter als nur in der Erinnerung. Bald glaubt Jean, er könne mit ihm wirklich nur Geschäfte verrichten, und Sara, sie könne mit der Wucht zurückkehrender Vergangenheit umgehen. Denn wenn schon Amour fou, dann bitte nicht als Behauptung! MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT und vor allem angenehm entfernt von abgewetzten Rollengleisen der Geschlechter geht es schließlich auf in den rasanten Kampf um Vertrauen, Lügen und nicht steuerbare Beschleunigungen.

[ Andreas Körner ]