D 2016, 112 min
FSK 12
Verleih: X Verleih
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Claudia Eisinger, Katja Riemann, Laura Tonke, Maren Kroymann
Regie: Laura Lackmann
Kinostart: 12.05.16
Daß man die Schnauze gestrichen voll hat, wenn man von der ungefickten Chefin gefeuert wird und genau von dieser Eule anschließend noch geheucheltes Mitleid serviert bekommt, wenn der eigene Lover kaum brauchbare Tips gibt wie jene, nach denen man sich doch eine Arbeit suchen sollte, die möglichst wenig mit Menschen zu tun haben und bei der es kaum auf Genauigkeit ankommen sollte, Rumänien wäre ganz gut, daß man die Faxen wirklich dicke hat, wenn nur noch Rollkofferspastis durch die Straßen ziehen oder Assi-Tanten mit Inbrunst „Fotzenland“ rufen, daß man irgendwann nicht mehr weiß, wo vorne ist, daß man gar depressiv wird, weil die beschissenen Botenstoffe mal wieder zu knapp sind, um die eigene verfressene Seele satt werden zu lassen, das kann man doch nun wirklich verstehen! Das muß man verstehen, ein Blick in die Verzweiflung Karos genügt. Und dann, ausgerechnet dann, ist Frau Dr. Kleve nicht da, die ganze Welt scheint sich verschworen zu haben.
MÄNGELEXEMPLAR ist der Film zur Zeit! Und der Langfilmdebütantin Laura Lackmann ist es geradezu bestechend gelungen, die Brüchigkeit einer suchenden, teilweise wirklich verzweifelten, mitunter auch nur sehr Ich-bezogenen Generation zu spiegeln. In aller Ambivalenz, in schrägem Witz und tatsächlich anrührender Melancholie. Vielleicht ist Karo der Lösung auf der Spur, weil sie eben erkennt, was Leben so bedeutet. Und dieser Draufblick kann schon depressiv machen – oder Erkenntnisgewinn bedeuten. Denn es ist doch so: Unsere Existenz ist reichlich dröge konzipiert. Kurz nach der Geburt rattert das Hamsterrädchen brav Stationen wie Ausbildung, Arbeit, Essen, Schlafen, Arbeit, Familie, Schlafen, Essen, Arbeit und Grubensprung ab. Wenn man diese Ödnis als zur Unterwanderung gedachtes Konzept erkennt, dann läßt sich ganz gut leben.
Mehr ist wahrscheinlich nicht drin, und da ist Annette, die schmallippige Psychologin, auf deren nußbrauner Ledercouch Karo sich nun täglich fläzt, doch die Richtige, um den Teufelskreis aus fehlendem Vertrauen in sich selbst und diese Dauereigenumkreisung gleichermaßen aufzuknacken. Obwohl Annette auch irrt: Wo ein Loch ist, muß wahrlich nicht immer etwas gewesen sein. Karos Erzeuger ist ein ganz profundes Loch!
Was Lackmann mit der filmischen Übertragung von Sarah Kuttners Erfolgsbuch gelingt, ist ziemlich phänomenal: Zum einen zeigt sie, wie eine Gesellschaft an Depression laboriert, wie sich all der saublöde Überdruck, dieser Anpassungszwang als zerstörerisch erweisen, und zum anderen schneidet sie Lösungen an, nach denen ein Arschtritt manchmal besser ist als eine Umarmung. Karo leidet seit Kindheit an der Schwäche der ebenfalls depressiven Mutter, und auch heute noch könnte sie platzen, wenn Mama mal wieder im Zenit eines Schubs empfiehlt: Atmen und an etwas Schönes denken!
Lackmann vermag es durchaus mit Witz, und das will bei der Thematik was heißen, zu schildern, wie es sich anfühlt, wenn die Angst Dauergast ist. Stark ist, daß Karo, überragend von Claudia Eisinger gegeben, nicht als leidender Gutmensch schabloniert wird. Die hat schon Kanten, daraus speist sich ein Großteil des auch derben Witzes von MÄNGELEXEMPLAR. Zur Mutter einer schreienden und garantiert antiautoritär verzogenen Kleinkindplage meint sie nur: „Wenn das Brüll im Baumarkt nicht überleben kann, dann soll es eben so sein!“ Herrlich, denn das macht Karo neben ihrem Bedürfnis nach Dauertrost auch zu einem reflektierenden Menschen. Und wenn wirklich gar nix mehr hilft, dann vielleicht von der besten Freundin ein Kotzeküßchen?
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.