Originaltitel: MR. GAGA

Israel/S/D/Niederlande 2015, 99 min
FSK 0
Verleih: Farbfilm

Genre: Dokumentation, Biographie

Stab:
Regie: Tomer Heymann
Drehbuch: Tomer Heymann

Kinostart: 12.05.16

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Mr. Gaga

Filmische Symbiose von Körper und Geist

Dokus können ja durchaus mal am Syndrom zu beschränkter Zielgruppe leiden und erfolgsmäßig daher gnadenlos abdriften, wenn auch unter liebevoller Betrachtung im intimen Rahmen. Solches Schicksal ist MR. GAGA allerdings weder zu wünschen noch wirklich wahrscheinlich, eignet sich die auf den ersten Blick reine Tanz-Doku bei näherem Hinsehen doch sogar für Grobmotoriker und Bewegungslegastheniker.

Porträtiert wird grundsätzlich der weltberühmte frühere Tänzer und spätere Choreograph Ohad Naharin, weiterführend entsteht das Bild eines wahrlich faszinierenden Menschen. Wie genrebedingt üblich, wird zu Erinnerungszwecken Archivmaterial eingeblendet und zeigt einen dürren Jungen mit durch die Haut stechenden Rippen, dessen Bewegungsdrang unendlich scheint. Tanz ist für ihn Lebensteil statt Karriereziel, was man sofort glauben möchte, angesichts der an den Tag gelegten schieren Hingabe, ausgelöst auch durch einen autistischen Zwillingsbruder.

Weitere Existenz-Stationen folgen, darunter Unterhaltungseinsätze im Krieg („Singing Bad Songs For Traumatized Soldiers Was An Absurd Theatre ...“), Unterricht bei Ikone Martha Graham (welcher Naharins Erwartungen und Träume nicht erfüllte) oder das Ehelichen der „schönsten Frau der Welt.“

Das mag bloß nischeninteressant klingen, entfaltet faktisch aber einen keine Gegenwehr zulassenden Sog, wofür neben intelligent gewählter musikalischer Untermauerung der Mann selbst Verantwortung trägt: Sogar in Momenten freudiger oder umgekehrt schmerzvoller Gedanken bleibt er sachlich, beherrscht, fern der Belehrung. Und gibt uns so die unvoreingenommene Chance, vermeintliche emotionale Lücken allein zu füllen, seine Welt frei auf eigene Faust zu erkunden.

Was definitiv lohnt, betrachtet man die zur Ansicht gebrachten Kostproben seiner Arbeit, primär der Choreographien: Mitreißende Blicke auf sich fesselnd bewegende Körper, inszeniert voller Hingabe und bar jeder Animosiät, weswegen Naharin, dem bewiesenen Hetero, eben auch die Leistung glückt, einen rein männlichen Duo-Tanz zum erotischen Ereignis zu formen.

Nach etwa zwei Dritteln dann eine weitere Großtat: Naharin bringt durch die Wahrheit über den eingangs erwähnten Zwilling das bisher Gesehene einfach mal ins Wanken. Es folgt der Wandel hin zum plötzlich politischen und traurigen Ton, bis die finale Einstellung den anfangs geöffneten Kreis sowie ein wahres Wunderwerk (be-)schließt.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...