Der Tod sei der große Gleichmacher, heißt es. Doch sobald es darum geht, aus welchem Holz der Sarg geschnitzt sein soll, ob die letzte Musik von einer Kapelle oder doch vom Band gespielt wird, ob Trauergäste zahlreich oder gar nicht erscheinen, ob Tränen fließen oder doch nur eine Kerze tropft – dann sind sie zurück, jene unübersehbaren Zeichen einer versiebten Biographie, jene Markenaufkleber für die Einsamkeit, die man sich zu Lebzeiten wenigstens mit einem Bier wegtrinken konnte.
Wer in London-Kennington aus seinem Sarg herausblinzelt und Mr. May erblickt, der kann gewiß sein, daß wohl niemand weiter kommen wird. Dabei ist Mr. May kein Vorwurf zu machen. Als „Funeral Officer“ versucht er alles, um Verwandte oder Freunde der Verstorbenen ausfindig zu machen und sie – trotz aller Fremdheit, trotz gekappter oder einfach nur verlorener Bindungen – zu diesem letzten Ehrenbesuch zu überreden. Aber wem nützt das noch? Fragen sich auch Mr. Mays Vorgesetzte und beschließen, seine Stelle zu streichen, nach 22 Jahren. Plötzlich wird sie augenfällig, die Tristesse dieser Lebensenden in Aktenordnern, die Farblosigkeit des eigenen Anzugs. Einen letzten Fall hat man ihm gelassen – und der wird unversehens zur Bestandsaufnahme der eigenen Existenz.
In Zeiten, da Filme sich interessant zu machen suchen, indem sie sich ihrem Publikum entziehen, wirkt Uberto Pasolinis melancholische Komödie erholsam anachronistisch. In bester neobritischer Kinotradition sucht er nach Einverständnis, ohne sich anzudienen, taucht ein in soziale Wirklichkeiten, ohne das Luftholen im Surrealen zu vergessen. Und er versteht sich ebenso gut wie die Kollegen aus dem Kriminalfach darauf, Bild- und Motivspuren so subtil auf Schreibtischen und in Zimmerecken zu verstecken, daß man glatt übersehen könnte, mit welcher ästhetischen Raffinesse einem hier zu Leibe, zur Seele gerückt wird.
Ja, er flüstert, dieser Film – nicht etwa ängstlich, sondern aus Prinzip. Nennen wir es British Understatement, obwohl ein gebürtiger Römer Buch und Regie besorgte, nennen wir es humoristische Hintergründigkeit, obwohl so vordergründig von Traurigkeiten erzählt wird. Und feiern wir Eddie Marsan, der beinahe König der Nebendarsteller geblieben wäre – hätte ihm Pasolini nicht diese aberwitzige, blaugraublasse, schweigsame Trauerverwaltungsfigur auf den Leib geschrieben, die an ihrer Aufgabe ebenso wie an ihrer Aktentasche Halt findet.
Originaltitel: STILL LIFE
GB/I 2013, 92 min
FSK 12
Verleih: Piffl
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Eddie Marsan, Joanne Froggatt
Stab:
Regie: Uberto Pasolini
Drehbuch: Uberto Pasolini
Kinostart: 04.09.14
[ Sylvia Görke ]