Wer in Marrakesch nach Sex ohne Verpflichtung sucht und über genügend Cash verfügt, hat definitiv ihre Telefonnummer. In der Huren-WG nimmt dann meistens Noha ab, denn sie ist am längsten im Geschäft. Doch auch ihre zwei jüngeren Mitbewohnerinnen wissen, wie ein Kunde zufriedenzustellen ist, ganz egal, ob es sich um einen vor Kohle und Herablassung nur so strotzenden saudischen Business-Reisenden oder einen ungehobelten Mir-gehört-die-Welt-Touristen aus Europa handelt. Schwanz ist Schwanz.
Diese Frauen, ihre kleinen Traurigkeiten und ihre manchmal großspurig-aufreizenden Auftritte in Clubs oder exklusiven Privaträumen stehen im Zentrum von Nabil Ayouchs Film, der jedoch nicht nur eine Art Arbeiterinnenporträt aus dem Rotlichtmilieu sein will. Selbst, wenn es bisweilen danach aussieht. Denn sein Blick auf die geübten Körper im Dienst ist so schamlos wie das unverbrämte Gossenvokabular seiner Figuren. Im Preis sind, auf Wunsch, allerhand Erniedrigungen inbegriffen. Auch die sind zu sehen, in manchen Szenen so plastisch, daß einem übel wird. Aber der Blick geht weiter. Auf Mütter, Brüder, Geliebte und Beamte, die Noha und ihren Freundinnen mit Verachtung begegnen, finanzielle Zuwendungen aber nicht ausschlagen. Auf Geldsäcke aus Riad oder Doha, die sie „Schlampen“ nennen, die eigenen islamischen Moralvorstellungen samt elitärer Kultiviertheit allerdings mit der Hose ablegen.
Die marokkanischen Behörden waren vom in vielerlei Hinsicht expliziten Sittenbild ihrer Gesellschaft wenig erbaut und verhängten ein Aufführungsverbot. Die Tagespresse berichtete nach der Premiere bei der Quinzaine von salafistischen Morddrohungen und tätlichen Angriffen auf Regisseur und Darstellerinnen. Daß der in der Filmwelt durchaus etablierte Franko-Marokkaner Nabil Ayouch von den heftigen Reaktionen völlig überrascht wurde, wie er sagt, darf man leise bezweifeln. Seine Provokationen sind nämlich welche mit Ansage – nicht nur, weil sie so viel Haut zeigen. Er koppelt Prostitution nicht ausschließlich an ausweglose soziale Umstände, sondern versteht sie auch funktional: als Ventil für die religiös verordnete Enthaltsamkeit.
Daß sich Ayouch dabei nicht immer der erlesensten filmischen Mittel bedient, ja, zuweilen dicht an den Grenzen zum Voyeurismus, auch zum Klischee, operiert, wäre in der ganzen moralischen Aufregung beinahe untergegangen.
Originaltitel: MUCH LOVED
F/Marokko 2015, 108 min
FSK 16
Verleih: Arsenal
Genre: Drama
Darsteller: Loubna Abidar, Asmaa Lazrak, Halima Karaouane
Regie: Nabil Ayouch
Kinostart: 19.05.16
[ Sylvia Görke ]