Museen sind seltsame Orte. Unzählige Meisterwerke aus vielen Jahrhunderten hängen da dicht gedrängt beieinander, und wir spazieren mal so vorbei. Rembrandt ist gezwungen, mit Brueghel um die Aufmerksamkeit des Betrachters zu konkurrieren. So ähnlich hat es der Schriftsteller Witold Gombrowicz in seinen Tagebüchern beschrieben. Den Besucher wiederum empfindet er als Herdentier; jeder ist überfordert mit dem Museum, überschlägt sich aber vor Bewunderung, weil auch die anderen bewundern. Ähnliche Gedankengänge mögen den Independent-Filmemacher Jem Cohen dazu getrieben haben, ausgiebig durch das Wiener Kunsthistorische Museum zu flanieren, wie Gombrowicz mit wachem Blick für die Umstände, wenn auch weniger pessimistisch, was die Schnittstelle zwischen Kunst und Mensch betrifft.
Ins Zentrum setzt er einen Museumswärter, der nach seinen wilden Zeiten als Tourmanager nun seine ruhigen Tage zwischen Gemälden und Besuchern verbringt. Beide Gruppen hat er gleichermaßen im Blick. Daß Museumswärter gewöhnlich unsichtbar wie ein Gespenst bleiben, erleichtert ihm das stille Beobachten. Seinen Beruf baut er auf seine Weise aus, indem er Kontakte mit Besuchern zuläßt und ihnen auch in privaten Fragen zur Verfügung steht. Leitfaden des eher episodischen Films ist seine Begegnung mit einer verloren wirkenden Kanadierin, die in Wien ihre im Koma liegende Verwandte besucht und im Museum einen Anlaufpunkt findet. In solchen Krisensituationen sprechen Kunstwerke mitunter ganz anders zu uns. Das erfahren wir in einer losen Abfolge von Begegnungen, von Gesprächen über Kunstwerke und das Leben. Auch wenn die Figuren fiktiv sind, handelt es sich bei dieser ungewöhnlichen Freundschaft nur um einen behutsamen Eingriff in die Realität.
Cohen sucht das Dokumentarische. Seine Exkursionen führen ihn aus dem Museum hinaus in den Wiener Alltag, in Straßenschluchten, verrauchte Cafés oder auf den Naschmarkt. Dieses ungeschliffene Material dient ihm wiederum als Folie für Reflexionen über das Verhältnis von Zivilisation und Nacktheit oder die Frage, warum Stilleben die frühen Rap-Videos sind. Dabei nimmt er sich so viel verlangsamte Zeit, wie er es sich vermutlich auch für einen Museumsbesuch wünscht. Wien ist für ein solches nostalgisches Film-Flanieren wie geschaffen. Oder sollte es ein Zufall sein, daß fast zeitgleich auch Johannes Holzhausen in DAS GROSSE MUSEUM einen Blick hinter die Kulissen desselben Museums wirft?
Originaltitel: MUSEUM HOURS
Österreich/USA 2012, 107 min
Verleih: Arsenal Institut
Genre: Drama, Poesie, Mockumentary
Darsteller: Bobby Sommer
Regie: Jem Cohen
Kinostart: 15.05.14
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...