Sommersprossen in Großaufnahme. Kleine charmante Punkte in einem noch kindlichen Gesicht. Eine Kindlichkeit, die kaschiert: zum Beispiel die Sorgen, die ein junges Leben schon haben kann, Nöte und Probleme - gut versteckt hinter scheinbar arglosem jugendlichen Putz. Die Mutter tot, den Vater nie gekannt und einen ehemals kriminellen und nun allzu gottesfrommen Bruder im Haus - so geht’s Mona, die äußerlich an die junge Tilda Swinton erinnert. Im lichtdurchfluteten Yorkshire, hier wie ein bezauberndes Märchenland gefilmt, trifft das Mädchen auf Tamsin. Ziemlich am Anfang ihres Kennenlernens fragt Tamsin: "Und, haste Nietzsche gelesen?" Mona: "Häh?"
Alles klar, Tamsin kommt aus besserem Hause, zitiert "Gott ist tot" und spielt schon deshalb ein bißchen die Überlegene. Doch die Flucht aus dem Normalen und ihre oft überbordende Phantasie bringt die Mädchen zusammen, sie tanzen, sie trinken, sie necken einander, sie verlieben sich. Jeder Sommer hat ein Ende, die meisten Tänze leider auch ...
Die Kamera fliegt über Höhen, sonnengetränkte Kornfelder, alte romantische Gemäuer und endlose Wiesen. Leichtigkeit kriegt hier noch einmal eine andere Bedeutung, und so unverbraucht leicht, dabei klug und sensibel wird hier auch eine Geschichte hingetupft, in der die dunklen Seiten, z.B. der zur Gewalt neigende Bruder oder das Leben mit diversen Lügen gut eingebettet, aber nicht tonangebend sind. Es soll ja der Sommer der Liebe sein. Sozusagen die Jahreszeit des Leichtsinns, der Herzsprünge, die Saison der Raum- und Vernunftlosigkeit. Die Mädchen wissen eigentlich schon viel, sie träumen noch mehr.
Irgendwann tanzen sie zu Edith Piafs hypnotischer Hymne "La foule". Tamsin bewundert den Zwerg vom Pigalle: hat die Piaf doch ihren Liebhaber Marcel Cerdan mit einer Gabel erstochen! Gefängnis gab es nicht, da man es im Land der Liebe mit Verbrechen aus Leidenschaft nicht so schwer nimmt. Ein fabelhaftes Bildnis von Sorglosigkeit! Marcel, der Boxer, starb wirklich recht jung. Ohne Gabel, Flugzeugabsturz. Trotzdem will man nach dieser herzwärmend-naiven Sentenz rufen: Liebende, auf nach Frankreich! Obwohl eigentlich klar ist, daß es so einen Sommer nur hier in Yorkshire geben kann. Und vielleicht nur für Mona und Tamsin.
Originaltitel: MY SUMMER OF LOVE
GB 2005, 86 min
Verleih: Prokino
Genre: Erwachsenwerden, Liebe, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Natalie Press, Emily Blunt, Paddy Considine
Regie: Pawel Pawlikowski
Kinostart: 30.06.05
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.