D 2021, 116 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Drama

Darsteller: Lars Eidinger, Luise Heyer, Devid Striesow, Paula Kalenberg, Christian Redl

Regie: Franziska Stünkel

Kinostart: 12.08.21

6 Bewertungen

Nahschuß

Von wegen Tapeten!

Lars Eidinger steht nackt in einem kargen Zimmer. Am Fenster. Als das Zuhause dann ein Neubau ist, legt er eine Platte auf, um seiner Corina die tolle Stereoanlage zu präsentieren. City rocken. Dreimal wäre zu raten, welches Lied. „Einmal wissen, dieses bleibt für immer“, singt Tony Krahl in dieser Ikone von Musikstück. Daß die DDR im Film noch lange nicht auserzählt ist, obwohl es nicht wenige gern so hätten und andere denken, es sei längst der Fall, zeigt NAHSCHUSS. Denn es geht eben doch nicht darum, ob Tapeten stimmen, Gardinen oder die Karos der Hosen. Es geht um Lebenslinien, die sich aus der DDR herauszeichnen lassen, und ob man ihnen glaubt.

Franz Walter ist ein strebsamer Wirtschaftswissenschaftler, der in den 70ern kurz vor der Übernahme einer lukrativen Universitätsstelle steht. Daß er Genosse ist und sich schmerzfrei vom MfS anwerben und im Auslandsnachrichtendienst einsetzen läßt, überrascht kaum. Eine Mischung aus Überzeugung und Sehschwäche für Realitäten ist der Grund. Corina stutzt auch nur zart, als Franz die neue noble Wohnung präsentiert. Beide sollen sich immer alles sagen, lautet ihr drängender Wunsch. Vieles wird es sein, alles zunächst nicht. Denn Franz entpuppt sich als fähiger Mitarbeiter, weil er richtig angeleitet wird. Hat selbst Fußball gespielt, wird auf einen in den Westen geflüchteten Ex-Unioner angesetzt, fährt rüber, sammelt Infos, instruiert Kontakte, zieht an Fäden, berichtet. Skrupel? Jetzt schon Skrupel?

Es sind Aufstieg und Fall eines Individuums in einem System, die Regisseurin Franziska Stünkel zum Kern erhebt. Konzentriert bleibt sie am Menschen Franz Walter dran, berührt nur höchst selten diese nervige Symbolhaftigkeit, die so viele laue „Zwischenfilme“ über Ostdeutsches prägten. Ein nuancenstarker Lars Eidinger hilft ihr dabei. Das Kippen seiner Figur spielt er wirklich als Momentum, denn es ist kein Prozeß, der Franz ausscheren läßt. Der Prozeß beginnt danach.

Das wahre Leben des Dr. Werner Teske, angeklagt wegen „vorbereiteter und vollendeter Spionage im besonders schweren Fall“, verurteilt und 1981 als letzter DDR-Straftäter per NAHSCHUSS hingerichtet, dient hier für eine ausgesprochen freie, bildkräftige Adaption, die zu psychologisch präziser Fiktion wird. Das aufgesetzt Exemplarische bleibt außen vor, es sei denn, die Moral würde verhandelt. Nur diese bleibt für immer.

[ Andreas Körner ]