Wenn der Protagonist einer Dokumentation gleich zu Beginn die Filmförderinstitutionen verhöhnt, welche den Film ermöglicht haben, dann kann einem dieser Mensch erst einmal nur sympathisch sein. Und wenn selbiger im Rest des Werkes alles zu tun scheint, um eben jene Sympathie wieder zu verspielen, dann muß dies keineswegs zum Leidwesen des Films geschehen, sondern kann, wie sich in der faszinierenden Dokumentation NAKED OPERA erweist, ein umso interessanteres filmisches Porträt ergeben.
Der Luxemburger Marc Rollinger ist ein Exzentriker vor dem Herrn. Der charismatische Opernliebhaber taktet sein Leben nach den Aufführungen seiner Lieblingsoper DON GIOVANNI und reist für die besten Darbietungen dieser von einer europäischen Metropole in die nächste, wobei er ausschließlich in den nobelsten Hotels gastiert. An seiner Seite und des Nachts in seinen Armen stets ein attraktiver, junger Mann. Wie Marcs Held Don Giovanni wechselt Marc seine Liebhaber von Stadt zu Stadt, doch auch bei Marc verbirgt sich hinter der hedonistischen Jagd nach Schönheit und Perfektion Tragisches. Denn Marc ist seit seiner Kindheit unheilbar krank, seine zynische, von beißendem Humor geprägte Art erweist sich bei näherer Betrachtung als Defensivmechanismus gegen eine Welt, die ihm, seit er klein ist, vor allem Schmerzen bereitet.
Regisseurin Angela Christlieb changiert in der Inszenierung ihres ambivalenten Protagonisten gekonnt zwischen Bedienen und Bloßstellen von Rollingers Eitelkeiten. Der Opulenz von Mozarts Meisterwerk Tribut zollend, scheut Christlieb keineswegs die große Pose und läßt die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Fiktionellem bei Marcs Begegnungen mit seinen Jünglingen immer wieder verschwimmen. Obwohl diese visuell einfallsreichen Momente ihren Reiz und vor allem gehörig Schauwert besitzen, sind es doch die Augenblicke, in denen die Fassade wegfällt und Rollinger die hart erarbeitete Contenance verliert, die hängenbleiben.
Etwa, wenn Rollinger Christlieb in seinem Hotelzimmer auffordert, ihm doch bitte zu sagen, was er zu tun habe, und sie ihn daran erinnern muß, daß das hier immer noch ein Dokumentarfilm sei. Genau dann erreicht der Film die Echtheit, die den idealen Kontrast zur so häufig zur Schau gestellten Künstlichkeit von Marcs Welt bildet. Dieser spannende Gegensatz ergibt am Ende ein Porträt, das der Komplexität seiner Hauptfigur näherkommt als so manche abstandslose Nabelschau.
Luxemburg/D 2012, 85 min
Verleih: Real Fiction
Genre: Dokumentation, Schwul-Lesbisch
Stab:
Regie: Angela Christlieb
Drehbuch: Angela Christlieb
Kinostart: 10.10.13
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...