Originaltitel: NATIONAL GALLERY

F 2014, 173 min
FSK 0
Verleih: Kool

Genre: Dokumentation

Regie: Frederick Wiseman

Kinostart: 01.01.15

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National Gallery

Museum, Museum, laß’ mir Dein Haar herunter

In den 1830er Jahren wurde der Kunst in London ein Haus gebaut. Eine Andachtsstätte zur Geschmacksbildung hatte dem Architekten vorgeschwebt. Doch dem etwas glücklosen Kompromiß zwischen limitierten Finanzen und beschränktem Platz war zunächst nur der Spott der Öffentlichkeit sicher. Längst ist die National Gallery über solche Kritik erhaben. Schließlich beherbergt sie eine der renommiertesten Sammlungen ihrer Art, in der sich die Titanen der Kunstgeschichte gegenseitig die Show stehlen – indes das Haus seinem vor lauter großen Namen schier bersten wollenden Innenleben nie ganz hinterherzuwachsen vermochte.

Innen-Außen-Verhältnisse gehören nicht nur zum Diskurs der Museumsarchitektur. Sie bekommen Gewicht, wenn es um die Selbstbehauptung solcher Einrichtungen im zeitgenössischen Kulturbetrieb geht, wenn Etats verhandelt werden, wenn es zwischen Elfenbeinturm und Eventkeller abzuwägen gilt, wenn Vermarktungsstrategen auf Schöngeister, Experten auf Laien, Bilder auf ihre Betrachter treffen. Und allemal, wenn ein Dokumentarfilmer Haltung zu seinem Sujet annimmt.

Der legendäre US-Filmemacher Frederick Wiseman kennt sich aus mit dem Innen und Außen von Institutionen, „porträtierte“ Krankenhäuser, Ämter, Tiergärten, Justiz- und Sozialeinrichtungen. Anfang 2012 mischte er sich mit gewohnt schmaler Crew unter die nicht abreißenden Besucherströme der National Gallery. Er ließ sich von Saal zu Saal treiben, folgte Blicken bei der Versenkung in Firnisschichten, schlich sich in Führungen, setzte sich in Meetings, durchstreifte die Restaurierungs- und Rahmenwerkstätten und hing den Museumspädagogen an den Lippen.

Ganz dem Purismus des Direct Cinema verpflichtet, läßt Wiseman Museum, Mitarbeiter und Sammlungsschätze weitgehend für sich selbst sprechen. Das tun sie begeistert, begeisternd, mit Engelszungen: etwa zu quirligen Kindern, denen die Geschichten in den Bildern nahegebracht sein wollen, oder zu Blinden, die eine Pissarro-Komposition mit den Händen erobern. Im Schnitt ordnet sich das assoziative Material, erhält seine Form und seinen bildungspolitischen Furor. Und fühlt sich trotz ausgedehnter Augenausflüge in Farb- und Lichtstimmungen doch beinahe wie ein kostbar illustriertes Hörstück an. Das freilich ist so klug wie beredt und formuliert die vielleicht interessantesten Fragen: Wie, warum und zu wem läßt sich ein Museum herab? Und muß man das herablassend nennen?

[ Sylvia Görke ]