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Neruda

Poetische Verfolgungsjagd aus der Hand eines meisterhaften, präzisen Erzählers

Der Chilene Pablo Neruda (1904–1973) war ein Vertreter der seltenen Spezies politischer Dichter. Im Westen wurde er lange Zeit wegen seiner explizit pro-kommunistischen Haltung, die sich in etlichen seiner Gedichte niederschlug, als Lyriker nicht ernst genommen. Das änderte sich, als ihm 1971 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde. In seiner Heimat genießt er heute den Status eines Nationalheiligen. Das war nicht immer so. Ende der 40er Jahre saß Neruda für die Kommunistische Partei Chiles im Senat. Dort griff er scharf den damaligen Präsidenten González Videla an, nachdem dieser einen abrupten politischen Kurswechsel hin zum Kalten Krieger vollzogen hatte. Videla entzog Neruda daraufhin die Immunität und erließ einen Haftbefehl gegen ihn. Es blieb dem Dichter nur der Gang in die Illegalität und schließlich eine abenteuerliche Flucht über die Anden nach Argentinien.

Diese Episode erzählt der Regisseur Pablo Larraín in NERUDA. Sein rundherum stimmiger Film, der so überhaupt nichts mit den gängigen Biographieverfilmungen gemein hat, ist eine Sternstunde des Kinos. Es gelingt ihm, etwas von dem flüchtigen und mehrdeutigen Wesen der Poesie auf die Leinwand zu bannen und daraus einen mitreißenden Film zu machen. Im Leben des Dichters ist das Imaginäre ebenso wichtig wie das Reale, beide gehen ineinander über, die Grenzen zwischen ihnen verwischen.

Neruda will – ganz Poet – seine Verfolgung als große Jagd inszenieren. Und weil es bei jeder Jagd einen Verfolgten und einen Verfolger braucht, stellt Larraín seinem Protagonisten einen würdigen Antagonisten zur Seite – den Polizisten Oscar Peluchoneau. Eine Figur wie aus einem Groschenroman: jung, schneidig, ehrgeizig, Bastard einer Hure und des Polizeichefs. Von linken Salonkommunisten wie Neruda ist er so fasziniert wie abgestoßen.

Der Film wechselt beständig zwischen der Perspektive beider Figuren. Wie ein roter Faden zieht sich ihr poetisches Zwiegespräch durch den Film. Ihm zuzuhören ist ein wahrer Genuß. Luis Gnecco und Gael García Bernal verwachsen förmlich mit ihren Rollen. Gneccos Neruda ist ein liebenswerter, streitlustiger, durchaus eitler Mann, der den Frauen sehr zugetan ist. Mit den Einschränkungen des Untergrundlebens mag der Bonvivant sich nicht abfinden und büxst zum Leidwesen seiner Bewacher immer wieder in diversen Verkleidungen aus. Dabei zieht es ihn gern ins Bordell – seiner großen Liebe zur argentinischen Malerin Delia del Carril zum Trotz. Neruda begegnet den Menschen mit großer Offenheit, das macht seinen Charme aus. Selbst seine Ex-Frau sagt im Radio über ihn, er schulde ihr zwar viel Geld, sei aber ein sehr lieber Mensch. Auch die Nebenrollen sind brillant besetzt.

NERUDA ist ein Schelmenstück mit einem Grundton in Moll. Larraín nimmt sich in seinem Film zwar dichterische Freiheiten, die historischen Fakten jedoch sind akribisch recherchiert. Unter Präsident Videla begann, was unter dem Diktator Pinochet ihren blutigen Höhepunkt erreichte: die gewaltsame Unterdrückung all jener, die eine gerechtere Verteilung des Reichtums forderten. Viele Ungerechtigkeiten bestehen bis heute fort.

Als Filmemacher arbeitet sich Larraín seit Jahren an der Geschichte seines Landes ab. In TONY MANERO, PORT MORTEM und NO! zeigt er, welche Verheerungen die Diktatur in den Seelen der Menschen anrichtet. Wenn Verbrechen ohne Strafe bleiben, und allen Unangepaßten Folter und Tod drohen. Dabei stammt der Regisseur selbst aus einer Familie hochrangiger, rechtskonservativer Politiker. Er kennt diese Kaste von innen. Die Wortgefechte Nerudas mit seinen rechten Kontrahenten wirken daher sehr authentisch.

Larraín ist außerdem ein Regiseur, der die Klaviatur des Kinos perfekt beherrscht. Seine Filme sind optisch präzise Kompositionen. Bild, Licht und Farbigkeit spiegeln stets das Innenleben der Figuren. So spielt ein Großteil von NERUDA im Dämmerlicht geschlossener Räume. Es dominieren Erdtöne. Die Unsicherheit der Illegalität findet hier ihre optische Entsprechung. Erst gegen Ende öffnet sich das Bild der Weite der schneeverhangenen Landschaft Patagoniens, in der die Figuren ihre Freiheit finden.

Originaltitel: NERUDA

Chile 2016, 108 min
FSK 12
Verleih: Piffl

Genre: Biographie, Drama, Polit

Darsteller: Luis Gnecco, Gael García Bernal, Mercedes Morán, Alfredo Castro

Regie: Pablo Larraín

Kinostart: 23.02.17

[ Dörthe Gromes ]