„Natürlich sind Sie der FC Basel.“ So spricht es aus dem Munde Christian Zinggs, Lehrer einer Integrationsklasse, um seinen Schützlingen deren grundsätzlich beschränkte Chancen zu verdeutlichen, sie aber gleichzeitig zum Dranbleiben zu motivieren, schließlich hat der Verein während der Dreharbeiten sogar Manchester United besiegt. Für die jugendlichen Migranten heißt es: eine Lehrstelle finden, nicht aufgeben, selbst bei klarer Ablehnung, weil man „ganz schlecht Deutsch spricht.“ Sagt eine Schweizerin ...
Regisseurin Anna Thommen hat sich mit in den Unterricht gesetzt, stellt keine Fragen oder führt Interviews, sie hospitiert. Und umgeht geschickt den gängigen Doku-Fehler, die Kamera in zu kurzer Zeit auf zu viele Leute zu richten. Thommen trifft stattdessen eine exemplarische Auswahl, rückt Ehsanullah ins Zentrum. Er will Arbeit suchen, um die in Afghanistan verbliebene Familie zu unterstützen, jedoch wird sein Asylantrag abgelehnt. Der Junge verletzt sich selbst und hat hohe Schulden, die Reise kostete Unsummen. Halbwaise Nazlije wiederum kümmert sich aufopferungsvoll um ihren jüngeren Bruder Ismail, kennt kaum Freizeit, will Lehrerin werden – ein unerreichbares Ziel. Alle anderen Schüler stehen da eher zurück, erhalten bloß kurze Biographien, was Thommen erlaubt, aus den genannten drei Leben ein Füllhorn menschlicher Schicksale zu schmieden.
Die auch politische Allgemeingültigkeit liegt auf der Hand, Schweiz oder Deutschland, völlig egal, schließlich haben Diskussionen über Einwanderung nach wie vor (oder mehr denn je) Hochkonjunktur. Thommen mischt sich erneut nie ein, wahrt Distanzen, ihr Film rührt gerade deswegen umso mehr an, legt Brennpunkte frei – nicht allein, wenn ein paar Migranten auf Zinggs Frage, wofür ein Zeigestock dienen mag, vollkommen selbstverständlich aus eigener leidvoller Erfahrung antworten: „Zum Schlagen!“ Oder einige Jugendliche schon ziemlich abgebrüht auf Heimatnachrichten reagieren, weil Attentate, Mord und tote Leiber für sie praktisch zum unabänderlichen Alltag gehörten. Zingg kann es allerdings kaum fassen: „Davon hört man überhaupt nichts bei uns.“ Nun, möglicherweise fehlt dazu oft schlicht der Wille.
NEULAND mangelt es hingegen kaum an etwas. Okay, vielleicht vermißt man optische Qualitäten, aber das gleichen Inhalt, kluge Montage und ein überaus emotionsgeladenes Schlußbild locker aus.
CH 2013, 96 min
FSK 0
Verleih: Rise And Shine Cinema
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Anna Thommen
Drehbuch: Anna Thommen
Kinostart: 14.05.15
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...