Wie eben alles andere auch, kann das so genannte "sozial genaue" Erzählen ein bloßes Klischee sein, das mit den immer gleichen Befindlichkeiten, Schlagworten und Bildern hausiert. NEULICH IN BELGIEN etwa wartet damit zum Beispiel gleich in der ersten Einstellung auf. Strähniges Haar, bleiches Gesicht, müde Augen. So blickt Matty in die Kamera. Matty, eine Frau Anfang 40 und Postangestellte. Vom Mann verlassen, mit zwei kleinen Kindern plus pubertierender Tochter im - welche Überraschung - Plattenbau hausend. Das wirkt in der Art, wie es so furchtbar wirklich daherkommt, erst einmal wenig einnehmend. Wie Matty selbst. Daß die wenige Filmminuten später beim Ausparken den LKW des 29jährigen Johnny rammt, und beide sich daraufhin eine gefühlte halbe Ewigkeit unflätig anraunzen, ist dann wohl, wie gehabt, sozial genau. Nur, daß NEULICH IN BELGIEN mit diesem ausgestellten Milieukolorit erstmal recht raffiniert seine Geschichte verbirgt. In der nämlich entspinnt sich zwischen Matty und Johnny eine Liebe, die so unmöglich und glaubwürdig, so Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt ist, wie nur irgendeine.
Was indes noch nicht die Attraktion an NEULICH IN BELGIEN ist. Erzählt doch Christoph van Rompaeys Regiedebüt nicht nur vom Aufblühen einer eigentlich unmöglichen Liebe - was das Kino ja oft macht - sondern vielmehr vom Aufblühen einer Frau, die sich schon für verwelkt hielt. Barbara Sarafian als Matty zeigt dieses Aufblühen und das gleichzeitige Wundern über selbiges, unprätentiös, anrührend und absolut klischeefrei. Diese Matty weiß zu viel vom Leben, als daß da Schmetterlinge im Bauch gleich Höhenflüge verursachen würden. Ihre Gefühle belächelt sie, flieht vor ihnen, wehrt sich dagegen - um sich ihnen dann schließlich doch hinzugeben. Wie Barbara Sarafian das völlig uneitel auslotet, nuanciert zwischen Verhaltenheit und Expressivität, wie geschickt und rabiat zugleich sie ihrer Figur den faden Sympathieträgerbonus der gebeutelten aber starken Frau verweigert, wie sie alle Sozialklischees, die da lauern, an die Wand spielt - das nämlich ist nun tatsächlich eine Attraktion.
Sarafian kanalisiert alles, womit die Geschichte aufwartet, auf ihre Figur. Die ist das Kraftzentrum dieses Filmes und verleiht ihm seine Glaubwürdigkeit, seine Unverwechselbarkeit und seine - ja, soziale Genauigkeit.
Originaltitel: AANRIJDING IN MOSCOU
Belgien 2008, 102 min
Verleih: Senator
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Barbara Sarafian, Jurgen Delnaet, Sofia Ferri
Regie: Christoph van Rompaey
Kinostart: 16.10.08
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.