Wäre der kleine Prinz ein Erdenbürger, so wäre Island vermutlich eine passende Heimat für ihn. Und wahrscheinlich würde er als geistig zurückgeblieben gelten, obwohl er doch eigentlich so ein cleveres Bürschchen ist. Und wenn er nicht kleiner Prinz hieße, dann vielleicht Jed.
Jed führt sein verträumtes Leben in einem ansonsten abgestorbenen Umfeld, arbeitet in einer Behindertenwerkstatt und verschenkt seine große Liebe an Chloe, seine behütete Kollegin mit Pferdeschwanz, roter Brille und Hang zu Plüschburgen. In ihrem überschaubaren Universum ist nicht alles, aber das Wesentliche in Ordnung. Doch dann stirbt Chloes Katze, und sie verfällt in eine lebensbedrohliche Melancholie. Plötzlich ist der Sinn des Lebens futsch, und Jed zieht aus, ihn wieder zu finden. Ausgerechnet auf einem Schrottplatz am Rande der Stadt. Denn dort lebt Max, ein Aussteiger und vermeintlicher Weiser, dessen Vertrauen allerdings nicht leicht zu gewinnen ist.
Die grenzenlose Naivität der Geschichte, in der ein Junge durch die "Welt" geht und die Menschen nach dem Sinn des Lebens fragt, befremdet anfangs. Schon steht eine Komödie à la VERRÜCKT NACH PARIS zu befürchten, in der Behinderte auch nur Menschen sind, oder gar eine verordnete Philosophieunterrichtsstunde. Doch dann macht der Film das einzig Richtige: Er bekennt sich ganz offen zum Märchen, vermischt Spukelemente mit surrealen Situationen, etwa in der Nebenhandlung um Jeds Vater, der sich vom Fernsehverkäufer und -junkie zum einsamen Familienwolf entwickelt. In den Mittelpunkt rückt allerdings immer mehr die tragische Gestalt des wortkargen und rauhbeinigen Einsiedlers Max, der mit der Gesellschaft abgeschlossen hat.
Für ihn hätte kein besserer Schauspieler als Gary Lewis gefunden werden können, bekannt unter anderem als Vater in BILLY ELLIOT. Lewis und Martin Compston als Jed begannen übrigens beide als Ken-Loach-Darsteller und ergänzen sich vielleicht schon deshalb ganz gut. Ein schöner Film ist bei all dem herausgekommen mit einfachen Wahrheiten, tiefer Traurigkeit und einem ironisch-trockenen Humor. Ein wenig mag man dabei wohl auch an den Bestseller "Hectors Reise ins Glück" denken. Wer das nicht mag, denke lieber an seine unschuldige Jugend.
Originaltitel: NICELAND
GB/D/DK/Island 2004, 86 min
Verleih: alpha medienkontor
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Gary Lewis, Martin Compston, Kerry Fox, Gudrun Maria Bjarnadottier
Regie: Fridrik Thor Fridriksson
Kinostart: 07.12.06
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...