"Das Spiel heißt: Sich-so-ein-Leben-vorstellen", erläutert der erste Satz in Judith Hermanns Kurzgeschichte "Hurrikan" das Prinzip, nach dem die Protagonisten der Autorin oft handeln, während ihnen das eigene Leben eher zu entgleiten scheint. Meistens suchen sie oder warten auf etwas, das nicht kommt. Und wenn es kommt, ist es irgendwie nicht richtig.
Da Judith Hermann als so etwas wie die Stimme einer Generation von in der Welt Verlorenen gilt, kommt sie Martin Gypkens wie gerufen. Hatte er doch in seinem Debütfilm WIR bereits ein ungefähr gefühltes Gemeinsames einer Generation von jungen Berlinabenteurern ausgerufen. Diesmal schweift sein Blick weiter in die Ferne. Doch so weit man sich auch von Deutschland, diesem Musterland transzendentaler Obdachlosigkeit, entfernt, man wird doch immer wieder auf sich zurückgeworfen. Gypkens erzählt fünf solcher Hermann-Geschichten parallel und verknüpft sie zu einem stimmungsvollen, melancholisch-luftigen Fluß. Als verbindendes Thema wählt er die Reise, das Unterwegssein.
Arizona, Venedig, Island, Jamaika - überallhin reiste er mit der Nachwuchsgarde des deutschen Films, um sie in kinogerechten Hochglanzbildern abzulichten. In der Tat sind die Bilder sein größtes Kapital. Zu Beginn der titelgebenden Gespenster-Episode spiegelt sich eine Wüstenlandschaft im Wagenfenster wie eine Doppelbelichtung, eine Überlagerung zweier Wirklichkeiten. In der Jamaika-Episode gelingen atmosphärische Momente, in denen sich Hitze, Langeweile und erotisches Knistern zur ungewissen Erwartung des Hurrikans anstauen. Nur durch die Bilder kann eine Literaturverfilmung wie diese gewinnen. Doch dann traut der Film sich doch nicht, versteift sich auf überdeutliche Dialoge und flieht allem, was kantig ist. Unter der Glätte der Geschichten und Übergänge leidet die Dynamik. Gypkens zieht den Erzählfluß zu sehr in die Länge, einzelne Episoden brechen auseinander.
Auch gelungene Darstellungen, etwa von Wotan Wilke Möhring oder Christine Schorn, und manche pointiert-witzige Stelle können da nicht gegen an. Die Bilder versickern im Klangteppich der Filmmusik. Es fragt sich, wie der Film mit einer einzelnen Kurzgeschichte als Vorlage gewesen wäre. Es muß ja nicht gleich Short-Cuts sein.
D 2007, 119 min
Verleih: Senator
Genre: Episodenfilm, Literaturverfilmung
Darsteller: Maria Simon, August Diehl, Jessica Schwarz, Brigitte Hobmeier, Wotan Wilke Möhring, Christine Schorn
Regie: Martin Gypkens
Kinostart: 29.11.07
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...