Originaltitel: NICO, 1988
I/Belgien 2017, 93 min
FSK 12
Verleih: Film Kino Text
Genre: Biographie, Drama, Musik
Darsteller: Trine Dyrholm, John Gordon Sinclair, Anamaria Marinca
Regie: Susanna Nicchiarelli
Kinostart: 19.07.18
Wie geht es Alain Delon eigentlich, wenn er an die Lieben seiner 85 Lebensjahre denkt? All die großen und ultimativen, die kleinen für zwischendurch oder jene, aus denen Kinder entstanden sind. Ari zum Beispiel, den er bis heute nicht anerkannt hat. Zwei seiner nichtfranzösischen Frauen, beide früh verstorben, gehören in diesem Jahr prägende Kinomomente: Romy Schneider und Christa Päffgen. Erstere brauchte kein Pseudonym, Letztere wurde als Nico Teil der Kulturgeschichte.
Schnittstellen von 3 TAGE IN QUIBERON und NICO, 1988 gibt es nicht nur in der Art, wie sich zwei Regisseurinnen auf kleine Ausschnitte aus üppigen Biographien konzentrieren, wobei drei Tage hier und drei Jahre dort viel dichter beieinander liegen, als nach Echtmaß berechnet. Romy und Nico, am Leben gerieben und zerrieben, nippen noch einmal vom Quell der Hoffnung. Es liegt an ihren Söhnen. Doch als sich lose Kontakte wieder stabilisieren, schlägt die Tragik zu.
Aaron „Ari“ Boulogne-Päffgen hatte am Zustandekommen von NICO, 1988 seinen Anteil. Die geraffte Zeit war für den damaligen Mittzwanziger prägend – mit Drogen, Depression und Tanz auf der Klinge. Seine Mutter hatte also Fährten gelegt. Als Susanna Nicchiarellis Drama beginnt, will Nico endlich nicht mehr Nico sein. Das Reduzieren auf ihre Zeit als Sängerin bei Velvet Underground, Model oder Schauspielerin für Andy Warhol, als hippe Muse und leuchtkräftige Ikone macht die noch immer raumgreifende Frau rasend. Sie ist verbittert, unwirsch zu Kollegen und sich selbst.
Noch konsequenter als in den Jahren davor sucht sie auf der Bühne zwischen Zug und Entzug eine neue Identität mit Feldgeräuschen, tiefschwarzen Tasten und experimentellen Klängen, für die sich nun wirklich nicht die erste Garde an Kollegen finden läßt. Sie nimmt, was sie bekommt. Päffgens Willen ist ungebrochen, nur eine Handvoll Menschen glaubt an sie. Mit ihnen zieht sie durch Europa, auch ins restkommunistische Prag, um dort eine überhitzte Version von „My Heart Is Empty“ zu singen. Dunkel, dräuend, allegorisch.
Spätestens hier transformiert die in dieser Rolle noch einmal anders großartige Dänin Trine Dyrholm eine Nico aus sich heraus, die punktgenau zwischen Kopie und Eigenleben changiert, nicht zuletzt durch brillante Interpretationen der Lieder. Das Wichtigste aber ist, daß sich NICO, 1988 vom „Special Interest“-Gitter befreien kann. Durch Stärke.
[ Andreas Körner ]