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Nicotina

Was kleines Schwarzes für die Lunge

C10H14N2 wirkt in kleinen Dosen erregend auf die Ganglien des vegetativen Nervensystems und setzt aus dem Nebennierenmark Catecholamine frei, heißt es in Fachkreisen. Angesiedelt in Mexico City, durchwandert von der einen oder anderen Kakerlake und aufgemotzt mit zeitgemäßem Latino-Chic, wird Rodríguez’ Film von diesem Stoff angetrieben. Schon im Vorspann steigt Zigarettenrauch auf.

Eine nach der anderen steckt sich Computerhacker Lolo an. Über seinen Bildschirm flattert die Matrix, aus der er für die Gangster Nene und Tomson ein paar Schweizer Kontonummern filtern soll. In die Quere und auf das selbstgebrannte Speichermedium kommt ihm aber statt der Nummern seine Nachbarin Andrea. Denn Lolo überwacht die schöne Musikerin mit ausgefuchstem Kamera-Equipment und archiviert die Bilder - bis Andrea zornig seine ganze CD-Sammlung ins Chaos stürzt. Das Mißgeschick wird andere, tödliche nach sich ziehen. Aber vorerst sind Nene und Tomson noch gut gelaunt im Auto unterwegs. So gut gelaunt es eben geht, wenn einer für sein Leben gern raucht und der andere es auf den Tod nicht ausstehen kann.

Der Regisseur jedenfalls bezieht im Kulturkampf zwischen Aktiv- und Passivinhalierern eindeutig Position fürs Kettenrauchen - um den kleinen Preis, daß einige Ideen ein bißchen schnell verglühen. Er bläst das Personal mit Splitscreens und anderen verspielten Kringeln der Montage-Technik von einer Katastrophe in die nächste, vom muffeligen Zimmer eines russischen Mafioso in die Apotheke von Clara und Beto, kurz auf die Straße und weiter in den Frisörsalon von Goyo und Carmen.

Manch ein Filmschnitt wird vom Klicken einer geladenen Waffe oder dem Geräusch einer Messerklinge begleitet. Die Späße sind teerschwarz, manchmal sogar blutrot, vor allem, wenn es in die Tiefe geht. Und die ist nun bei Rodríguez nicht Charakter oder Psychologie, sondern der dicke Bauch des toten Russen, in dem Frisörgattin Carmen angewidert nach irgendwelchen Diamanten sucht. Für mehr Tiefgang ist die Zeit zu knapp: gute anderthalb Stunden Film für ebensoviel Handlung. Aber wer wie Rodríguez hinter Tarantino oder Ritchie herjagt, muß eben hinnemachen. Noch sind ihm die Kollegen ein Stückchen voraus - wenn man diesen mexikanischen Stimmungsaufheller auch mit einigem Vergnügen auf Lunge nehmen kann.

Originaltitel: NICOTINA

Mexiko 2003, 93 min
Verleih: Arsenal

Genre: Episodenfilm, Gangster, Komödie

Darsteller: Diego Luna, Lucas Crespi, Carmen Madrid, Jesús Ochoa, Rafael Inclán

Stab:
Regie: Hugo Rodríguez
Drehbuch: Hugo Rodríguez

Kinostart: 14.07.05

[ Sylvia Görke ]