Nicos Vater hat sich damit abgefunden, daß sein Sohn ein kleiner Nazi ist. "So klein bin ich gar nicht" - der Einspruch vom 21jährigen. Man möchte hinzufügen, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, denn die ausländerfeindlichen Tiraden des Vaters sind auch nicht gerade ohne. Nur gibt sich der Sohn einen intellektuellen und organisierten Anstrich. Nico, von Beruf Versicherungsvertreter, ist nicht nur NPD-Mitglied und Vorsitzender in einer freien Kameradschaft, sondern auch Liedermacher. Arglos werden Traditionen und Gesten der einstigen politischen Linken aufgegriffen und zu zarten Gitarrenklängen Lieder über das deutsche Mädel oder die märkische Heimat gesungen. Gerne auch im Altersheim. Wie gut, daß da eh niemand etwas versteht.
Ähnlich zum Scheitern verurteilt scheinen alle Versuche "sozialen Engagements" der unabhängigen nationalen freien Kameradschaft Frankfurt/Oder, eine Gruppe von Jugendlichen und jungen Eltern. Das Transparent "Härtere Strafen für Kinderschänder" wird gleich vor dem Hauseingang von der Polizei beschlagnahmt. Und wenn bei einer Unterschriftenaktion einer der Passanten fragt, wofür ihr Verein eigentlich politisch stehe, gerät man in Erklärungsnot. Immerhin einen fixen Punkt in ihrem Leben haben sie: ein Mal in der Woche treffen sie sich in Nicos Wohnzimmer zur politischen Schulung und Pflege der Kameradschaft. Und das wirkt bedrohlich genug.
Ein Jahr lang hat die Regisseurin Franziska Tenner die Frankfurter Kameradschaft begleitet und drei ihrer Mitglieder porträtiert: neben Nico die junge Mutter Conni, die all ihre Hoffnung auf die Entlassung ihres Freundes aus dem Gefängnis setzt, und den 19jährigen Bibi, der wegen eines Angriffes auf einen Schüler vor Gericht steht. Hinter einer Fassade aus Idealismus und selbstverständlicher Gewalt kommen drei Menschen mit ganz banalen, ja biederen Sehnsüchten zum Vorschein: Geborgenheit und Ordnung. Denn am Ende sind doch alle Einzelkämpfer aus kaputten Familien. Und beiseite genommen sagt jeder so etwa das selbe: "Family, dit is die Hauptsache."
Tenner könnte sich mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, ihre Protagonisten zu denunzieren, doch in ihrer Hilflosigkeit erledigen die das ganz von alleine. Von Anteilnahme und schaurigem Entsetzen geschüttelt, weiß man als Zuschauer häufig nicht, ob man weinen oder lachen soll.
D 2003, 100 min
Verleih: Basis
Genre: Dokumentation
Regie: Franziska Tenner
Kinostart: 20.05.04
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...