Originaltitel: NOMADLAND
USA 2020, 108 min
FSK 0
Verleih: Disney
Genre: Roadmovie, Drama
Darsteller: Frances McDormand
Regie: Chloé Zhao
Kinostart: 01.07.21
Nicht ungewöhnlich, daß Frauen ihren Autos Namen geben, einen Van „Vanguard“ zu taufen, geht indes tief. Nicht der wörtlichen Übersetzung wegen, vielmehr fasziniert das innewohnende Wortspiel. Für Fern stellt ihr fahrbarer Untersatz, jenes alte Ding, tatsächlich einen Wächter, ein Bollwerk, die mitgeführte Heimat, winzigen Lebensraum, Fern treibt's rastlos von Ort zu Ort, die Witwe nimmt Gelegenheitsjobs an, lernt Menschen kennen und läßt sie wieder ziehen.
Weshalb dies zunächst zum gespenstischen Film geriet, durchzogen von den Geistern Verstorbener, Weggegangener, gar Vertriebener; Opfer eines Amerika, dessen Ellbogen zu scharfknochig und soziale Auffangnetze zu löchrig sind. Doch wie immer wäre Reduktion aufs vermeintlich Offensichtliche maximal die halbe Wahrheit, vorbeihuschende Einzelschicksale gewähren Auskunft über nicht ökonomisch motivierte Entscheidungen fürs Nomadendasein – da der psychisch angeknackste Vietnamveteran, nach Frieden suchend, dort der zum Aufbruch gemahnende Verlust geliebter Menschen. Oder einfach etwas spüren wollen, dem wir wohl alle zwangsläufig verlustig gingen: persönliche Freiheit. Außerdem keine Einforderung brauchende Solidarität. Man mag eventuell die Selbstverständlichkeit memorieren, mit der sie vor einiger Zeit auch direkt nebenan prächtig erblühte, ehe der inflationär strapazierte Begriff still zur ausgehöhlten Worthülse verwelkte.
Apropos: In welcher Ruhe Ferns Reise verläuft, bildet einen gern gesehenen, weil nötigen Gegenpol zum heutzutage echauffierter denn je ausgestoßenen Gebrüll, das mittlerweile zum gängigen – allerdings niemals guten – Ton gehört. Und was gibt es schließlich der krebskranken Swankie noch zu sagen, die zur Stätte schönsten Erlebens zurückkehren möchte, bevor sie tut, „was ich tun muß“? Genau solcher Wille zur unbedingten Eigenbestimmung negiert Ferns Ankommen irgendwann irgendwo. Es bedeutete vermutlich ihren zumindest emotionalen Tod, aufs Posieren vor gigantischen Saurierhintern verzichten zu müssen.
Dieser Lady unter anderem beim Verrichten der Notdurft in einen kniefreundlichen 30-Liter-Eimer zuzuschauen, räumte bisher über 230 Filmpreise ab. Hochverdient, herzlichst gegönnt. Wann gab’s zuletzt derart pulsierendes, formal reduziertes und trotzdem jeden kostbaren Moment leinwandfüllendes, für seine dreidimensionalen Helden lichterloh brennendes Kino?!
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...