Auf einer Dubliner Straße wird Nora von einem schüchternen jungen Mann angesprochen. Er stellt sich vor: James Joyce. Noch ist er nicht das umjubelte Prosagenie, noch ist sein "Ulysses" nicht geschrieben. Er verliebt sich in das bezaubernde Dienstmädchen, verteidigt seine Liebe gegen die spöttelnden Einwände von Familie und Freunden, denn für Literatur hat die einfache Frau aus Galway weder Interesse noch Verständnis. Aus dem prüden Mief ihrer Heimat ist sie geflüchtet und behauptet jetzt ihre Unabhängigkeit selbstbewußt und beherzt, lebt ihre Leidenschaft für den gutaussehenden Intellektuellen ohne Tabus und Einschränkungen. Sie folgt ihm in die Schweiz, ohne Trauschein, ohne Sicherheit.
Lange war von diesem Filmprojekt die Rede, sollte es doch ein Paukenschlag in der Filmographie der noch jungen Produktionsfirma "Natural Nylon Entertainment" werden, an der Ewan McGregor, Jude Law und dessen Frau Sadie Frost beteiligt sind. Als Vorlage diente die gleichnamige Biographie der Amerikanerin Brenda Maddox, deren Schilderungen das Drehbuch in Handlungsverlauf und Dialogen sehr genau folgt: das erste Rendezvous, bei dem Nora den fast Unbekannten freizügig beglückt, die rasende Eifersucht Joyces, die obszönen Briefe, die sie sich in Zeiten der Trennung schreiben, das schäbige Leben im Exil.
Daß die Figuren trotz historischer Akribie etwas schemenhaft bleiben, liegt vor allem an Regisseur Pat Murphys Hang zu märchenhafter Romantik, die im starken Kontrast zu der zwischen Obsession, Vorwürfen und Enttäuschung schwankenden Beziehung der Protagonisten steht. So wirken einige Szenen übertrieben weichgezeichnet und ein wenig süßlich. Auch scheint es ihm Joyces überlieferte Freude am Singen und Musizieren angetan zu haben. Dieser Lust darf er hier ausgiebig frönen, was dem Film stellenweise eine folkloristische Note verleiht. Schade auch, daß der große Literat mit dem bengelhaften Mimenstar McGregor eher unglücklich besetzt ist.
Originaltitel: NORA
GB 1999, 106 min
Verleih: Advanced
Genre: Biographie, Liebe
Darsteller: Ewan McGregor, Susan Lynch
Regie: Pat Murphy
[ Sylvia Görke ]