Originaltitel: NORMAL

I/S 2019, 67 min
FSK 12
Verleih: Missing Films

Genre: Dokumentation

Regie: Adele Tulli

Kinostart: 03.10.19

2 Bewertungen

Normal

Unverwandter Blick auf Heteronormativität

Lange Einstellungen, bunte Farben und klare Schnitte erwarten uns in NORMAL. Durch atmosphärische Klänge begleitet, blicken wir fragend auf Menschen, ein bißchen, als wären sie von einer anderen Welt. Ästhetisch eingefangene Situationen und gesetzte Kamerafahrten erinnern fast ein wenig an Werbung.

Wir starten unter Wasser in dumpfer Soundkulisse, den Babybauch im Visier. Kopflose Körper bewegen sich in rhythmischen Abfolgen. Das Spiel beginnt. Mit einem intensiven Blick heißt uns ein Kind im Film willkommen. Es ist ein kleines Mädchen, so sagt es die Frauenstimme aus dem Off, welches Ohrringe bekommt – „wie die Mama“ – und immer wieder hört, wie hübsch es sei. Am Ende wird es fotografiert. Nur scheint das Mädchen sich nicht richtig zu freuen. Ist es Angst? Ihr wortloses Fixieren der Kamera löst Faszination und gleichwohl Unbehagen aus. Das Spiel geht uns was an.

Das Spiel heißt Heteronormativität. Wir alle sind Teil dieser kollektiven Performance, denn wir alle müssen sie in unserem Leben aufführen. Kaum auf der Welt, sehen wir uns herausgefordert, uns mit vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen auseinanderzusetzen. NORMAL will eine dokumentarische Beobachtung sein, kein didaktisches Erklären der Welt. Unkommentiert reiht sich Situation an Situation, doch weist die Auswahl der alltäglichen Momente auch eine gewisse Strenge auf. Die „Gender Performances“ halten sich im Spielfeld der klaren Zweigeschlechtlichkeit auf, mit all ihren Regeln. Regisseurin Adele Tulli trennt zwischen Beschäftigungen von Frauen und Männern, eine Durchmischung findet nicht statt. Vielleicht möchte sie darauf hinweisen, wie langsam die Mühlen mahlen, und daß sich ein Umdenken, welches den ausgrenzenden Begriff des Normalen sprengt, in den gesamtgesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen noch lange nicht durchsetzen wird. Ansätze, um normative Geschlechtervorstellungen aufzulösen, werden jedoch nicht gezeigt.

So müssen sich Jungs weiterhin beweisen und vom Dating-Coach lernen, wie man ein Alpha-Mann wird. Hier ist keiner männlichen Fragilität erlaubt, sich in ihrer Schüchternheit zeigen zu dürfen. Es geht um ein Optimieren und Wappnen. NORMAL spricht auch unsere Leistungsgesellschaft an und das Definieren durch Äußerlichkeiten. Erst am Ende sehen wir eine heteronorme Abweichung, ein homosexuelles Paar heiratet – eine Hoffnung in der engen Welt, die NORMAL aufmacht, oder ein zementierter Status Quo?

[ Katharina Wittmann ]