Noch keine Bewertung

Notizen für eine afrikanische Orestie

Pasolinis Filmtagebuch einer Afrikareise

Nachdem er 1967 mit EDIPO RE bereits die Ödipus-Sage und 1969 MEDEA gedreht hatte, plante Pasolini als nächstes die Verfilmung einer weiteren griechischen Tragödie. In der Orestie schildert der Dichter Aischylos die Entstehung einer humanen Gesellschaft. Der Muttermörder Orest wird nach einem Verbrechen nicht mehr einfach durch die Götter zum Tode verurteilt, sondern vor ein Gericht gestellt, welches aus einer die Gesellschaft repräsentierenden Gruppe besteht.

Pasolini wollte diese Geschichte in das Afrika der 60er Jahre verlegen, denn viele afrikanische Staaten hatten gerade ihre Unabhängigkeit errungen, und so sah er große Parallelen zu der antiken Tragödie. Während einer umfangreichen Recherchereise machte er sich mit einer Kamera auf die Suche nach möglichen Drehorten und Darstellern. Aus diesem Material entstand der Film NOTIZEN ZU EINER AFRIKANISCHEN ORESTIE, den Pasolini selbst mit einem ausführlichen Kommentar versehen hat. Ergebnis ist ein seltener Einblick in die Arbeitsweise und Gedankenwelt eines außergewöhnlichen Filmemachers und ein einzigartiges zeitgeschichtliches Dokument des Lebens auf diesem Kontinent. Er filmt, was er vorfindet und spricht dazu Texte aus dem Stück. Auch Landschaften werden auf diese Weise bereits zu Protagonisten in seinem Universum.

Pasolini arbeitete in seinen Filmen häufig mit Laiendarstellern und wollte das auch hier wieder tun. Die faszinierenden Schwarzweiß-Bilder der Menschen auf den Straßen, denen er mit großem Interesse und ohne Berührungsängste gegenübergetreten ist, atmen trotz der Spontaneität der Aufnahmen schon die Atmosphäre seiner Spielfilme. Das geplante Projekt sollte den Menschen im Zentrum haben, und so filmt er Männer und Frauen, Kinder und Alte bei ihren alltäglichen Tätigkeiten. Aber immer wieder macht er auch Porträtstudien und besetzt im Kopf dabei schon Rollen. Der Zuschauer kann der filmischen Phantasie dieses Künstlers beim Arbeiten zusehen und zuhören.

Und dann das: Ausschnitte aus einer Diskussion mit afrikanischen Studenten. Pasolini stellt Fragen zum geplanten Projekt, will in den Austausch gehen, sucht die Rückmeldung der jungen Intellektuellen – und erntet teilweise harsche Kritik. In den Augen der Studenten ist er nicht der große bekannte Filmpoet, sondern nur irgendein Regisseur aus Europa, mit dem typischen Blick eines Europäers auf Afrika. Eine spannende und überraschend aktuelle Auseinandersetzung.

Originaltitel: APPUNTI PER UN'ORESTIADE AFRICANA

I 1969, 65 min
Verleih: Europe’s Finest

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Pier Paolo Pasolini
Kamera: Pier Paolo Pasolini

Kinostart: 26.07.12

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...