Originaltitel: NYMPHOMANIAC 2
DK/D/F/S 2013, 130 min
FSK 16
Verleih: Concorde
Genre: Erotik, Drama
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Shia LaBeouf, Stacy Martin, Jamie Bell, Christian Slater, Uma Thurman, Willem Dafoe, Jean-Marc Barr, Udo Kier
Stab:
Regie: Lars von Trier
Drehbuch: Lars von Trier
Kinostart: 03.04.14
Es war eine dieser Lieblingsideen des Lars von Trier. Seit Jahren verriet er sie jedem, ganz egal, wonach man ihn eigentlich gefragt hatte. Er würde gern einmal einen Porno drehen, diktierte er den Filmjournalisten regelmäßig in die Feder. Und die schmunzelten verschmitzt vor sich hin, kannten sie doch ihren verrückten Kino-Dänen und sein erotisches Verhältnis zur Provokation. Ob sie immer noch schmunzeln, diese Ungläubigen? Vielleicht mehr als je zuvor. Denn nicht nur, daß es mit NYMPHOMANIAC nun ganz danach aussieht, als habe sich der Traum endlich erfüllt. Das Mammutwerk bietet vielmehr Gelegenheit, Lars von Trier, dem der Ruf eines notorischen Melancholikers und schwererziehbaren Cinepathen vorauseilt, als das zu entdecken, was er möglicherweise schon immer war: ein lupenreiner, merkwürdig geschliffener Komödiant.
Schon daß einen das Filmmonster in zwei Teilen ereilt, kann man als parodistischen Coup verstehen – ein kumpelhaftes Anlehnen an die einschlägigen Kundenbindungsstrategien der Erleichterungsindustrie und ihren durchsichtigen, von den Tugendbolden in Hollywood abgekupferten Abo-Trick. Fallen wir darauf rein? Selbstverständlich! Denn das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden, konnte man spätestens mit der blutrünstigen Erlösungsorgie ANTICHRIST lieben lernen. Seither ist von Triers innerer Satyr vollständig von der Leine, geisterte durch den somnambulen Götter- und Planetendämmerungsspuk MELANCHOLIA – und hockt jetzt zwischen der abgenutzten Nymphomanin Joe und einem großväterlichen Bücherwurm namens Seligman in dessen verrumpelter Eskapistenbude. Es gibt Tee mit Milch – und den Rest der in Teil 1 begonnenen Lebensbeichte.
Erzählt im Ton der gelehrten Plauderei, geordnet in Kapiteln, abschweifend in allgemeingebildete Exkurse über die Fibonacci-Folge, die Hure Babylon oder das Nägelschneiden. Bebildert mit Rückblenden in die Leidensgeschichte einer sexuell Nimmersatten: Wie sie die Sucht ins Folterkabinett eines gewissenhaften Sadisten führte oder in ein Sandwich aus zwei redseligen Afrikanern. Warum Mann und Kind verschwanden. Wodurch sie schließlich in den Besitz einer Pistole gelangte, und wieso die im entscheidenden Moment nicht funktionierte. Während Joe an ihrer Tasse nippt, Seligman noch einen Tee aufsetzt, das Stammpersonal aus von Triers Musenhain in Stellung gebracht wird und sich drumherum allerhand Geschlechtsteile in naturalistischer, faltiger, haariger Kläglichkeit präsentieren, bleibt Zeit für ein paar Nachtgedanken zur Trierschen Pornographie.
Sie hat weit weniger mit Sex zu tun, als mancher erhoffte und andere befürchteten. Sie besteht in der schamlosen Ausstellung der eigenen Obsessionen, Lustträume, Versagensängste, in Querverweisen auf Vorgängerfilme, im onanistischen Diskurs über verbale Angemessenheit. Sie ist im Grunde ein unverschämt ausgedehntes, um sich kreisendes Selbstgespräch – umflattert von wilden, klugen, gefährlichen, abwegigen Assoziationen, umvögelt von Lektüreeindrücken aus der Bibel, den gesammelten Werken des Marquis de Sade sowie allerhand Grundlagentexten zur Mathematik und zum Fliegenfischen. Und auf eine seltsame Art tatsächlich an- und aufregend.
[ Sylvia Görke ]