Stehen, damit es weitergeht? Dieser Flashmob-Schlachtruf, gedacht für die großstädtische Besinnungsguerilla, ist wohl nicht bis ans Ijsselmeer vorgedrungen. Aber er taugt als Motto für das Ungeheuerliche, das sich auf Helmers Hof zwischen Kühen, Schafen, Eseln und Misthaufen ereignet. Ein veritabler Befreiungsschlag, nur eben sehr viel leiser. Wer also meint, auf der Stelle zu treten, kann sich in die Welt hinaus-begeben. Oder einfach bleiben, wo er ist, und das Leben drumherum in Bewegung setzen. So macht es Helmer.
Die Geschichte des alten Hauses, die des verstorbenen Bruders, behält der Milchbauer für sich. Hier sprechen, nein, flüstern stattdessen die Dinge, die Grashalme aus dem Prolog, die verstohlenen Blicke, die Helmer mit dem stattlich-gemütlichen Milchfahrer wechselt, und die Scheu vor dem neuen Knecht Henk, einem spröden Jungen, der seine Nähe sucht. Alles Symptome eines Neuanfangs, der eigentlich so beginnt: Helmer wuchtet seinen siechen, sich langsam in Haut und Knochen auflösenden Vater mitsamt Mobiliar, Matratze und schlotterndem Schlafanzug in die Dachkammer, die Stiege hinauf, näher zum Himmel, nur Hauptsache weit weg.
Einmal mehr übt sich die niederländische Filmemacherin Nanouk Leopold in der Kunst der Auslassung. Erstmals tut sie das mit einem fremden Stoff, nämlich dem Romandebüt ihres Landsmanns Gerbrand Bakker. Dabei scheint dessen von aller Gefühligkeit befreite, in lakonische, kurz angebundene Neben- und Nicht-mehr-Sätze verästelte Sprache sich der Einebnung ins Filmformat geradewegs entziehen zu wollen. Doch Leopold löst den Gordischen Textknoten, schlägt ganze Motivketten und Erzählstränge ab, bis auf den Kern. Und der ist aus Gold: ein Sterbender, ein Lebender, ein Abwesender und ein Zimmer unterm Dach.
So wählerisch das Drehbuchdestillat, so heikel fügen sich hier auch die Bilder: ein jedes auf seine Kraft geprüft und aus der Hand gefilmt – ohne Hast, aber doch mit jenen unvermittelten Aufblicken und Kopfüberschwenks, die unter der Beschaulichkeit das Dramatische aufwirbeln können. Beim Goldschürfen stieß Leopold auf einen Schauspieler, der Vagheit und Entschlossenheit gleichermaßen zu tragen vermag. Vermochte, muß man sagen. Denn Jeroen Willems, Gesicht, Körper und Pulsgeber dieses kantig-poetischen Rückeroberungsfeldzugs um den eigenen Lebensraum, verstarb kurz nach Abschluß der Dreharbeiten.
Originaltitel: BOVEN IS HET STIL
NL/D 2013, 92 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Jeroen Willems, Henri Garcin, Martijn Lakemeier, Wim Opbrouck
Regie: Nanouk Leopold
Kinostart: 13.06.13
[ Sylvia Görke ]