D 2017-2020, 89 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Dokumentation

Regie: Carmen Losmann

Kinostart: 15.10.20

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Oeconomia

Das Kartenhaus des Kapitalismus

Carmen Losmann ist jemand, der sich weder mit dem ersten noch mit dem zweiten Blick auf die Realität zufriedengibt. Das war schon bei WORK HARD – PLAY HARD so, ihrem augenöffnenden Film über die Untiefen der New Economy, in dem erschreckend deutlich wird, wie perfide die Ausbeutung von Arbeitsleistung perfektioniert wurde. Mit OECONOMIA bleibt sie ihrem Thema treu, weitet aber die Perspektive und nimmt das kapitalistische System als Ganzes in den Blick. Als Zentrum und Motor der zeitgenössischen Ökonomie macht sie – frei nach Maurizio Lazzarato – die Schulden aus, weil allein Schulden in der Lage sind, das anscheinend unbegrenzte Wirtschaftswachstum zu generieren, dem heute so gut wie alles unterworfen wird.

Trotz ehrgeiziger Interviewanfragen gelingt es Losmann nur bedingt, diese Annahme mit Bankern und Volkswirten zu diskutieren, weil sich die Bankenwelt lieber kollektiv auf die Lippen beißt. Die einen sagen Interviews ab, die anderen schlagen vor, Sitzungen und Beratungsgespräche für die Kamera zu simulieren, weigern sich aber, sich wirklich in die Karten blicken zu lassen. Wieder andere schweigen beunruhigend lange, wenn Losmann ihre Fragen stellt, die so einfach und grundsätzlich sind, daß darüber offensichtlich niemand in letzter Zeit nachgedacht hat. Nichts könnte die dem System innewohnende Problematik besser beschreiben als der Mangel an Antworten auf eine einfache Frage wie: „Wieso können wir nicht einfach aufhören zu wachsen?“

OECONOMIA ist kein Wohlfühl-Dokumentarfilm, der kluge und engagierte Menschen vorstellt, die ein anderes Leben, Arbeiten und Wirtschaften erproben, sondern eine klare, manchmal karge, aber immer konzise Untersuchung der Frage, warum unser Wirtschaftssystem so funktioniert, wem es nutzt und welche langfristigen Folgen es hat. Mittels einfacher Computergrafiken gelingt eine anschauliche Darstellung der Kausalbeziehungen. Dennoch ist dieser Film nicht leicht zu konsumieren, denn wer wirklich zuhört und eigene Schlüsse zieht, dem schwindet zusehends das Gefühl, auf sicherem Boden zu stehen. Unser ökonomisches Kartenhaus ist nicht nur in den oberen Etagen stark einsturzgefährdet, sondern fußt noch dazu auf einem Fundament aus Verschuldung und Wachstumszwang. Es ist zweifelsohne Zeit für eine Bestandsaufnahme und einen umfassenden Neubau – ohne Rücksicht auf den Denkmalschutz.

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.