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Only Lovers Left Alive

Blutsauger in Fernbeziehung – Jarmusch traut sich was

Man fragt sich ziemlich lange: Was wird das eigentlich hier? In welcher Stadt befindet sich dieses düstere Nest des blassen Schlakses mit den traurigen Augen, und sind es wirklich die märchenhaften Gassen Tangers, durch welche die blonde Eve, verschleiert und in wehende Stoffe gesteckt, nachtwandelt, als hätte gar Wong Kar-wai sich ihr an die Fersen geheftet? Und überhaupt: Wer ist dieser Bilal, was tut der ominöse Arzt, was hat es mit der Gitarrenliebelei und der ewigen Sonnenfurcht auf sich? Man fragt sich indes lange genug, um doch stetig dranzubleiben, die Neugier zu wahren, bis erste Hinweise mit Jahreszahlen, magischen Säften und dann eben bald auch die spitzen Eckzähne der Protagonisten die uns vorgestellte Spezies eindeutiger beschreiben: Adam und Eve sind Vampire. Und ja, dieser Film ist trotzdem von Jim Jarmusch. Einer seiner hinreißendsten sogar, denn Jarmuschs morbide, bisweilen urkomische und immer von einer schwermütigen Romantik durchzogene Liebesgeschichte verleiht nicht nur dem Blutsaugergenre eine völlig neue Facette, Jarmusch selbst kehrt zu seinen Wurzeln zurück – mit dieser Geschichte, die im Rhythmus eher musikalisch als in narrativem Korsett erzählt wird.

ONLY LOVERS LEFT ALIVE ist eine Geschichte von Außenseitern und der Fremde und zudem eine Reflexion über Kultur, Intelligenz und die Verkommenheit der Moderne und schon dadurch ein waschechter Jarmusch. Dazu gehört, daß selbst Vampire, seit Jahrhunderten in Liebe zugetan, eine Fernbeziehung führen. Weil das an die Substanz geht und gerade Adam zunehmend an der Verrohung der Welt laboriert (Welch’ abgründiges Bild, wenn ausgerechnet ein durch allerlei Kreuzzüge, Epidemien und Weltkriege geschultes Wesen ausgerechnet heutzutage den Kanal voll hat!), beschließt Eve, nach Detroit zu reisen. Nachtflug, logisch!

Jarmusch besticht durch seine zur Marke gewordene Lakonik und eine morbide Romantik, die den Film zu einem für wache Träumer macht, sensible Weltenreiter gar, die mit Adam und Eve den Egoismus der heutigen Zeit als pure Energieverschwendung betrachten, die Emphase gegen Verblödung setzen, die vielleicht sogar von Detroit als re-prosperierender Stadt träumen, und denen es in Tanger eines Tages vielleicht auch gelingen wird, ausgerechnet im Café „1001 Nacht“ neue „Lebens“-lust (oder eben -durst) zu spüren. Faszinierend an dieser ungewöhnlichen Paarparabel ist neben dem formidablen Cast das Analoge. Dieses kreisende Erzählen, gleich dem Rillenfluß einer Schallplatte, dieses Ausspielen von Songs, der nostalgische Blick in einstige Premium-Venues, die heute als Parkhäuser herhalten müssen, dieser Kosmos aus Röhrenverstärkern und Magnetbändern und jene bestechende, zumindest analog wirkende Bilderanordnung, die Motive von Liebenden erblühen läßt, welche stark an die berühmten Yoko-und-John-Fotos von Annie Leibovitz erinnern.

Die Suspense des Films wird verstärkt, als sich Unheil ankündigt, indem Jarmusch eine „böse“ Schwester Eves auftauchen läßt. Dann gewinnt der bewußt langsam gehaltene Film durchaus an Tempo, dann wird gebissen und gestorben. Gerade hier, bei der Beseitigung menschlicher Überreste, blitzt der Jarmuschsche Humor herrlich durch. Der Zuschauer wird aber auch zum Träumen eingeladen, als Adam vorschwärmt, daß er ja noch Eddie Cochran hat live spielen sehen. Mensch, das wäre doch wirklich was: die Piaf, den Nomi und nun auch Lou Reed ...

Geträumt wird im modernen Kino leider seltener, aber Jarmusch ist eben einer, der sich noch was traut und sich in seiner Eigenwilligkeit mit einer Geschichte über Daseinsmüdigkeit, Angst und dieses Ach-komm-wir-machen-doch-noch-weiter um tradierte Erzählformen ohnehin wenig schert.

Originaltitel: ONLY LOVERS LEFT ALIVE

GB/D/F/Zypern 2013, 123 min
FSK 12
Verleih: Pandora

Genre: Drama, Horror, Liebe

Darsteller: Tim Hiddlestone, Tilda Swinton, Mia Wasikowska, John Hurt, Anton Yelchin

Regie: Jim Jarmusch

Kinostart: 26.12.13

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.