César erwacht. Ein Blick in den Spiegel, die Augen reiben, unter die Dusche und dann aus dem Haus. Doch die Stadt ist leer - keine Autos, keine Menschen, nichts. César erwacht.
In seiner zweiten Regiearbeit nach TESIS stellt Alejandro Amenábar den Realitätssinn der Zuschauer auf eine harte Probe und beweist, daß man nicht unbedingt klarer sieht, wenn man die Welt mit weit geöffneten Augen betrachtet. Wirklichkeit und Traum überschlagen sich, tauschen die Plätze, widerprechen und ergänzen sich. Im Zentrum steht der junge César, den man wegen eines Mordverdachtes eingesperrt hat. In seiner Zelle spricht er mit einem Psychiater, erzählt ihm von seinen Träumen, seinem besten Freund und von Sofia, der Frau, die er liebt. Trotz des Vertrauens, das er dem freundlichen und geduldigen Mann nach und nach entgegen bringt, kann der ihn nicht dazu überreden, sein Gesicht zu enthüllen. Hinter einer Maske hält er es verborgen, wendet sich ängstlich ab und blickt verstört zu Boden, denn durch einen Autounfall ist er schrecklich entstellt.
Aus den Gesprächen und Traumbildern Césars komponiert Amenábar die brüchige Biographie seiner Hauptfigur. Doch an der lückenlosen Rekonstruktion von Ereignissen ist er nicht interessiert. Vielmehr zaubert er mit distanziert-kaltem Blick ein vielschichtiges Universum aus einzelnen Episoden, in dem jede Ebene, egal ob real oder fiktiv, ihre Wahrheit behauptet: das Geburtstagsfest, auf dem César Sofia kennenlernt, der Unfall mit seiner Ex-Geliebten Nuria, die aus Eifersucht ihr Auto in den Abgrund lenkt, das Aufwachen im Krankenhaus, Operationen und schließlich die völlige Wiederherstellung des zerstörten Gesichts. Verknüpft sind diese Elemente durch Bildmotive, die immer wieder auftauchen: Spiegel, Masken und die gebetartig-geflüsterte Aufforderung, die Augen zu öffnen. Allen Hoffnungen zum Trotz, hält Amenábar seine Geschichte bis zum Schluß in der Schwebe. Das Puzzle bleibt unvollständig, das Rätsel muß man aushalten.
Originaltitel: ABRE LOS OJOS
Spanien 1997, 117 min
Verleih: Helkon
Genre: Thriller, Poesie
Darsteller: Eduardo Noriega, Penélope Cruz, Chete Lera
Regie: Alejandro Amenábar
Kinostart: 07.03.02
[ Sylvia Görke ]