Ganz im Ernst: Kinos, die Filme noch von 35-Millimeter-Projektoren zeigen, sollten umgehend auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes gesetzt werden. Gilt für Leipzig wie für Mumbai.
In die indische Metropole führt jetzt ORIGINAL COPY. Genauer gesagt in ein dort befindliches Kino, das den seltsamen Namen „Alfred Talkies“ trägt und wie ein Relikt anmutet. Ein Relikt aus jener Zeit, als Kino noch keine Pixelware auslieferte und das Rattern der Projektoren an die tuckernden Motorkolben eines kleinen Dampfers erinnerte, der zu pittoresken Kreuzfahrten in Zelluloidwelten einlud, in denen vornehmlich viel gekämpft und geballert wurde. Und das gern im schnoddrigen Charme des B-Films guter, alter Prägung.
Ach, es kann einem wehmütig ums Herz werden, besucht man jetzt mit den Dokumentarfilmern Georg Heinzen und Florian Heinzen-Ziob das „Alfred Talkies.“ Ist schon gleich zu Beginn so, wenn man sieht, wie ein Fahrradkurier durchs obligate indische Verkehrschaos Filmbüchsen zu diesem Kino bugsiert. Filmbüchsen! Man wußte ja gar nicht mehr, wie verheißungsvoll und schön diese zerbeulten Blechdinger aussehen können. Darin irgendwie auch jenem alten, Patina atmenden Hindi-Filmpalast ähnlich, der von drei Menschen betrieben wird, die dem geneigten Zuschauer dann in Folge vorgestellt werden. Da ist die Kinochefin, die als Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft wie der indischen nie wirklich damit gerechnet hätte, mal Kinochefin sein zu dürfen. Da ist der Manager, einer jener durchaus charmanten Checker-Typen, die immer ganz genau wissen, was gute Filme sind. Nämlich jene, die die Leute sehen wollen.
Und da ist Sheik Rehman, der Plakatmaler, der immer Künstler werden wollte und jetzt eben Kunst ohne Ewigkeitswert für den unmittelbaren Werbeeffekt liefert. Was dem Manager dann mitunter immer noch zu viel Kunst ist: Die Diskussion darüber, daß die Helden zu klein und die Schurken zu groß auf Rehmans Bildern prangen, gehört zu den amüsantesten Momenten in ORIGINAL COPY.
Dessen Grundton dann aber in aller dokumentarischer Distanz einer fatalistischer Wehmut ist. Denn ja, das „Alfred Talkies“, dieser alte Kinodampfer, ist ein sinkendes Schiff, der Konkurs eine Frage der Zeit. Womit ORIGINAL COPY Zeugenschaft ablegt. Über dieses Kino und seine Betreiber. Und deren Lebensgeschichten, die selbst allesamt kinoreif sind.
D 2015, 95 min
FSK 6
Verleih: W-Film
Genre: Dokumentation
Regie: Georg Heinzen, Florian Heinzen-Ziob
Kinostart: 30.03.17
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.