Wie nano-feiner Sprühregen, der sich wie eine unmerkliche, zarte Hülle um die Haut legt, kalt und doch angenehm in seiner Kühle, die euphorisch stimmen kann, wegen des Erlebnisses des Spürens – so könnte man die Filme von Angela Schanelec empfinden.
Wenn man die Zeit erträgt, in der das Bild bei einer Frau Mitte oder Ende Dreißig hängen bleibt, die ganz langsam einen Apfel ißt. Beharrlich nimmt sie sich die Bissen, und so sehr schlank und so sehr verhärmt und auch fragil wirkt sie plötzlich, daß sie heraustritt aus der Massenabfertigung, die ein Flughafen bedeutet. Paris-Orly, wo sie als Angestellte am Check-In arbeitet. Es sind diese unspektakulären Verrichtungen, die ungeplanten Begegnungen, die an einem Transitort passieren, zwischen Warten und Abschweifen, die Schanelec in ihrer Banalität zelebriert.
Mann trifft Frau. Beide an einem Punkt im Leben, wo man sich gerade noch mal umentscheiden könnte. Sie führen ein Gespräch, daß es nur unter Fremden geben kann, die in einem Moment der Fügung bereitwillig ihre Masken ablegen. Und dann weiterziehen. Dann das rucksackreisende Paar, noch jung und unstet. Sie liest ihm vor, was sie liest. Will teilen, gemeinsam empfinden. Er zieht los mit seiner Kamera, fotografiert eine Frau, die ihm auffällt, zwischen den Bankreihen der Abfertigungsabschnitte. Oder fotografiert er sie nicht, hat sie nur im Fokus? Er weiß nicht, daß sie sich gerade trennt. Gibt es eine Aura der Vorahnung? Der Abschiedsbrief ihres Liebhabers bleibt am Ort der Abschiede zurück.
Eigentlich könnte Schanelecs neue Arbeit auch als Loop funktionieren. Denn die Filmemacherin vermeidet, daß ein Sog der Narration ensteht. Das Ende – die ungreifbare Gefahr – könnte den Anfang bilden. Keine raffinierte Bildsprache stellt den Anspruch, das Konzept zu würdigen. Man kann hinein- und hinausgehen mit seinen Gedanken und bleibt bei einzelnen Sätzen hängen. Die man sich merkt und für sich (neu) definiert. Der Sohn, der zur Beerdigung seines Vaters reist. An der Seite seine Mutter, die mit ihm fliegt, obwohl sie nichts mehr zu tun hat mit diesem Mann. Der Sohn erzählt der Mutter, daß er mit dem Jungen, mit dem er den Sommer verbrachte, geschlafen hat ...
Eine Liebesbeziehung muß einem das Gefühl geben, sich selbst lieben zu können. Ein Film das Grundgefühl der Achtung seiner Charaktere. Das tut Schanelec mit der ihr eigenen spröden Ernsthaftigkeit.
Originaltitel: ORLY
D/F 2009, 84 min
Verleih: Piffl
Genre: Episodenfilm, Drama
Darsteller: Natacha Régnier, Bruno Todeschini, Mireille Perrier, Emile Berling, Jirka Zett, Lina Phyllis Falkner
Stab:
Regie: Angela Schanelec
Drehbuch: Angela Schanelec
Kinostart: 18.11.10
[ Susanne Schulz ]