Originaltitel: OSCAR ET LA DAME ROSE

Belgien/F 2009, 104 min
FSK 6
Verleih: Kinowelt

Genre: Literaturverfilmung, Tragikomödie, Poesie

Darsteller: Amir, Michèle Laroque, Max von Sydow, Amira Casar, Mylène Demongeot

Stab:
Regie: Eric-Emmanuel Schmitt
Drehbuch: Eric-Emmanuel Schmitt

Kinostart: 07.10.10

10 Bewertungen

Oskar und die Dame in Rosa

Zu Herz und Hirn gehende Hommage an den Wert des Lebens

Der 10jährige Oskar bewegt sich durch eine frostig blau bebilderte Welt und darf dort machen, was er will, man sieht ihm sogar Streiche nach. Denn Oskar liegt im Krankenhaus, hat Krebs und nicht mehr lange zu leben. Eines Tages stolpert er über die schrill gewandete Pizzalieferantin Rose und wird von ihr mit reichlich ordinären Flüchen belegt. Endlich ein Farbtupfer und – ungleich wichtiger – klare Worte! Der Junge will, daß ihn Rose fortan immer besucht.

Da hört man sie von der Literaturpuristen-Front her bereits kratzen, die Zungen über gebleckte Zähne und gespitzte Federn auf Papier: Wie kann die etwas zitterige, altruistische Oma Rosa aus dem Roman nun eine gereifte Blondine mit vorerst bloß finanziellen Absichten sein?! Und gespielt ausgerechnet von Komikerin Michèle Laroque! Wer aber so argumentiert, läßt völlig außer Acht, daß Laroque ihrer pink Dame exakt all das verleiht, was den Charakter im Buch auszeichnete. Würde nämlich. Ehrlichkeit, Phantasie. Güte ohne Larmoyanz und – ganz neu – Selbstzweifel, verborgen hinter dem oftmals hemmungslosen Mundwerk. Eine attraktive, indes auch enttäuschte Frau, welche sich wohl nicht allein zu Oskars Aufmunterung in Geschichten flüchtet, die sie bunt und (wahn-)witzig inszeniert als Profi-Catcherin zeigen. Trotzdem erlaubt es Laroque, gemessen an manch ehrlichem Lächeln, ohne Neid, von ihrem Nachwuchskollegen Amir mimisch überflügelt zu werden. Offensichtlich nimmt sie ihn – was andere Filme oder Darsteller noch lernen müssen – ernst. Die Nöte, Ängste, Lage, kindlichen Unsicherheiten seiner Figur.

Da bekommen sogar Atheisten leuchtende Augen, als Rose vorschlägt, Oskar solle Briefe an Gott schreiben, von ihr mittels eines Ballons gen Himmel geschickt, und darüber hinaus jeden Tag für zehn Jahre nehmen. Der kleine Patient folgt nach anfänglicher Skepsis („Gott ist Volksverdummung!“) dem Rat, worauf per Schnelldurchlauf die erste Liebe, Pubertät, Midlife Crisis und Alter folgen, realistisch betrachtet im Rhythmus der Krankheit. Und auch sein Umfeld verändert sich ...

Das streichelt gleichermaßen Herz und Hirn, wirkt so poetisch wie zärtlich und schneidet unverkrampft schwere Themen an. Wie ertragen zum Beispiel Eltern wider die Natur den Verlust eines Kindes? Was können Hospitäler für Sterbende tun? Woraus zieht man Trost und Kraft? Angesichts des kitschfreien Spiels auf der Gefühlsklaviatur paßt selbst omnipräsenter Humor ins Konzept – tatsächlich ist zumindest Schmunzeln erlaubt und erwünscht, wenn Rose für Jesus ein Notfall-Ständchen singt, Comic-Gegnerinnen inklusive Raketenbusen besiegt oder in alter Schroffheit eine Omi brüskiert. Schon allein deshalb, weil anrührende Szenen stets einen Ausgleich schaffen, unter anderem Roses schräge Mutter die vielleicht ergreifendsten Sätze des Drehbuchs sprechen darf: 1998 Tage ...

Fern aller Abstürze gelingt hier die Gratwanderung, mit Intelligenz und Wärme das Leben zu feiern, obwohl der Tod schon seine Schatten wirft. Was also den traurigen Aspekt angeht, welcher jedoch wiederum nicht Tränendrüsendrückerei bedeutet ... nun ja. Gegen Ende heißt es: „Wer weint, kriegt keinen Weihnachtskuchen!“ Falls das stimmt, stehen vielen, sehr vielen Zuschauern gebäcklose Feiertage bevor.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...