Jeder hat ja so seine favorisierten Vorurteile. Manchmal sind die einfach nur blöd, manchmal deprimierend zutreffend. Was fällt einem zum Beispiel gemeinhin beim Stichwort „Balkan“ ein? Sehen wir mal von Slibovice und Urlaub in Kroatien ab, bleibt da doch, Hand aufs Herz, vorrangig Negatives. Ein Typ wie dieser Micky etwa, entspricht doch recht genau – will sagen deprimierend zutreffend – dem archetypischen Balkan-Mannsbild unserer Vorurteile: Stiernacken, Schweinsäuglein, Goldketten, Tschetnik-Tattoos. Kriegsveteran, Ex-Krimineller, jetzt Chef einer Sicherheitsfirma. Sein Haus eine Bastion neureicher Geschmacklosigkeiten, in die sich Verlobte Pearl gut integriert. Hinter dem Mond leben, mag da der weltgewandte Westeuropäer denken, heißt auf dem Balkan leben. Mickys stumpfsinnige Homophobie ist da nur der letzte Sargnagel, mit dem die Klischeekiste geschlossen wird.
Das ist schon von einiger Chuzpe und Listigkeit, mit der hier Regisseur Srdjan Dragojevic jene Köder auslegt, nach denen man als Zuschauer reflexhaft schnappt. PARADA ist der Kinoüberraschungshit vom Balkan, der die Balkanklischees so wild übers Stöckchen hüpfen läßt, bis sie erschöpft zusammenklappen. Und darüber eine wilde Geschichte zum berührenden Toleranzappell wird: Micky und Pearl wollen heiraten, und Pearl will dies so, wie sie es aus Hollywoodfilmen kennt. Mit Hochzeitsplaner etwa. Der heißt hier Mirko und ist selbstredend schwul. Mickys homophobe Ausfälle jedenfalls gehen dann irgendwann sogar Pearl derartig gegen den Strich, daß sie ihrem Schätzchen ein Ultimatum setzt: keine Hochzeit ohne Mirko. Schlimm genug. Daß aber Pearl zudem verlangt, Micky solle mit seinen robusten Kumpanen die von Mirko und Geliebtem Radmilo organisierte Gay-Pride-Parade vor Übergriffen schützen, geht dann direkt an die Substanz von Mickys männlichem Selbstverständnis.
Und was PARADA hinfort in einer Mischung aus Bauerntheaterdeftigkeit und berührender Empathie zeigt, ist die Wandlung eines auch mental stiernackigen Haudrauf zum toleranten … na ja … Haudrauf. Denn die haßerfüllten Übergriffe gegen Schwule wehrt Micky natürlich nicht mit Toleranzappellen ab. Daß er seine schlagkräftige Schutztruppe aus einst verfeindeten Bürgerkriegs-Veteranen rekrutiert, ist ein weiteres Symptom für die Intention, die PARADA antreibt. Ja, dieser Film ist ein Appell zum toleranten Miteinander. Das pfropft sich mitunter zu offensichtlich auf die Geschichte – aber zum Teufel, manchmal heiligt der Zweck die Mittel. Haudrauf-Micky würde dem zustimmen.
Originaltitel: PARADA
Serbien/Kroatien/Mazedonien/Slowenien 2012, 115 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Komödie, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Nikola Kojo, Milos Samolov
Regie: Srdjan Dragojevic
Kinostart: 13.09.12
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.