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Paradies

Die Hölle auf Erden

Wie kann ein junger Mann, dessen Herz für die russische Literatur schlägt, gleichzeitig glühender Hitler-Anhänger sein und vom „deutschen Paradies“ träumen? Warum riskiert eine Exilrussin, die in Paris als Moderedakteurin arbeitet, ihr Leben, um jüdische Kinder vor der Deportation zu bewahren? Was treibt einen französischen Bonvivant dazu, mit den Nazis zu kollaborieren? Der Film PARADIES des 80jährigen Russen Andrei Kontschalowski konfrontiert das Publikum mit Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. 

Im letzten Kriegsjahr angesiedelt, erzählt der Film die Geschichte der drei Protagonisten Olga, Jules und Helmut in bestechenden, schwarzweißen  Bildern. Dabei zeigen sie weniger das äußere Grauen des Krieges, als daß sie die Verheerungen in der Seele der Menschen sichtbar machen. So entsteht ein Psychogramm dieser Zeit, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Das eigenwilligste Stilmittel des Filmes sind Monologe der Hauptfiguren, welche die eigentliche Handlung immer wieder unterbrechen. An einem Tisch vor einer grauen Wand sitzend, reflektieren sie rückhaltlos ehrlich über ihr Leben. Ein Verhör oder eine Beichte vor höheren Mächten? 

Der Film beginnt in Frankreich und endet in einem namenlosen Vernichtungslager im Osten. Die Leidensgeschichte von Olga zieht sich als roter Faden durch den Film. Sie wird von der bekannten russischen Darstellerin Julia Vysotskya bravourös gespielt. Der Film zeigt das Leben im KZ in dokumentarischer Nüchternheit: die Brutalität der Wachmannschaften und die Rohheit der Häftlinge untereinander, die auf engstem Raum zusammengepfercht sind. Währenddessen verkauft der Adlige Helmut nach dem Tod seiner Mutter den Familiensitz. Himmler persönlich beauftragt ihn, wirtschaftliche Unregelmäßigkeiten in den Vernichtungslagern zu kontrollieren und, wenn nötig, mit Erschießungsbefehl zu ahnden. Im KZ trifft Helmut nicht nur auf den brutalen Kommandanten Krause (mit brachialer Präsenz: Peter Kurth), sondern zu seiner größten Überraschung auch auf seine unerfüllte Liebe: Olga, die er einst während eines lange zurückliegenden Urlaubes in Italien kennenlernte. 

In der zwiespältigen Figur des Helmut – fulminant dargestellt vom Dresdner Schauspieler Christian Clauß – verkörpert sich der ganze Widersinn dieser Zeit. Sein weiches Jungengesicht will trotz der Propaganda-sätze, die er ständig von sich gibt, nicht so recht zu der SS-Uniform passen. Er verdrängt völlig, daß er nicht gleichzeitig Hitler, Olga und Tschechow lieben kann. So bleibt ihm am Ende nur die imaginäre Flucht nach „Nueva Germania“, wo angeblich alles noch gut wird. Olga fragt sich angesichts dieser Verblendung: „Wer hat ihm das nur angetan? Sollte er sich das selbst angetan haben?“

 Als möglichen Erklärungsansatz scheut sich PARADIES nicht vor metaphysischen Einschüben, welche die dokumentarische Anmutung des Filmes immer wieder brechen. So erscheinen Helmut einmal im Wald die schemenhaften Geister der Ermordeten zwischen den Bäumen. Beim Treffen mit Himmler ist das unsichtbare Böse im Raum präsent. Diese gespenstische Szene offenbart den ganzen Wahn des höchsten NS-Führungskreises. Dem Alptraum vom Naziparadies auf Erden, in dem alles Abweichende keinen Platz hat, stellt Kontschalowski am Ende – ganz in der Tradition von Dostojewski und Tolstoi – den christlichen Erlösungsgedanken und ein jenseitiges Paradies gegenüber. Die erzählerische Wucht, gepaart mit dem formalen Wagemut seines Werkes, läßt die Zuschauer atemlos zurück.

Originaltitel: RAY

Rußland/D 2015, 131 min
FSK 12
Verleih: Alpenrepublik

Genre: Drama

Darsteller: Julia Vysotskaya, Christian Clauß, Philippe Duquesne, Peter Kurth, Jakob Diehl

Regie: Andrei Kontschalowski

Kinostart: 27.07.17

[ Dörthe Gromes ]