Originaltitel: PARADISE NOW
Palästina/NL/D/F 2005, 90 min
Verleih: Constantin
Genre: Drama, Polit
Darsteller: Kais Nashef, Ali Suliman, Lubna Azabal, Hiam Abbass
Stab:
Regie: Hany Abu-Assad
Drehbuch: Hany Abu-Assad, Bero Beyer
Westjordanland, Selbstmordanschlag, Hamas, Intifada - die Medien haben einen Vokabelschatz für die Orientierung im Nahostkonflikt zusammengetragen, der einem über all die Jahre und Toten schrecklich geläufig geworden ist. Aber welche Verständigung gibt es über eine tödliche Erpressung, in der Unschuldige die Geiseln sind? Hany Abu-Assads Film ist nun ein Ringen um Worte und Bilder, die dem Unverständnis vor allem Differenzierung entgegenstellen.
Er erzählt von Khaled und Saïd, zwei jungen Palästinensern in Nablus, die aus einem leidlich normalen Alltag mit ödem Job, Freunden und Familie zum Märtyrer-Kampf für ihr Volk abberufen werden. Es ist ein Abschied ohne Pathos. Niemand darf von dem Vorhaben erfahren, auch nicht Suha, in die sich Saïd gerade erst verliebt hat. Wenig Raum für hehre Gedanken bleibt auch im gutgeölten Terrorapparat, der aus den Männern lebende Bomben macht. Hier werden unauffällige Anzüge für die Mordreise nach Tel Aviv anprobiert, Sprengstoffgürtel auf die Haut geklebt und Abschiedsvideos gedreht, bei denen große Ideen im kleinlichen Clinch mit Technik und unfähigem Kameramann in Vergessenheit geraten. An der Grenze angekommen, werden die beiden außerplanmäßig getrennt. Saïd steigt mit der Hand am Zünder in israelische Busse, Khaled sucht den Freund auf der anderen Seite, beide allein mit ihrer Angst und ihrem Gewissen.
Mit der Täterperspektive bezieht Abu-Assad in diesem politisch und ethisch verminten Gebiet einen riskanten Beobachtungsposten. Von hier aus bekommt man jedoch einen klaren Blick auf das Absurde, ja Groteske der Szenerie: ein staubiger Grenzwall, an dem die sauberen Attentatsanzüge dreckig werden, der rege Binnenmarkt für Märtyrer- und Bestrafungsvideos, in dem letztere die höheren Preise erzielen, eine betriebsblinde Anschlagsbürokratie, die sich selbst nicht mehr in Frage stellt.
Anhand zweier Männergesichter, hinter denen ganze Kettenreaktionen aus persönlichen Demütigungen und Motiven angedeutet sind, demontiert Abu-Assad abstrakte Vorstellungen von "Heldentod" und "entmenschlichten Mordmaschinen" gleichermaßen. Dabei bedient er sich lakonischer, geradezu beißender Bilder, die seinen Film über jeden Verdacht einer Entschuldungspoesie erheben.
[ Sylvia Görke ]