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Paranoid Park

Vom schwierigen Umgang mit Schuld - Gus van Sant blickt in eine Teenagerseele

Gus van Sant ist endgültig zurückgekehrt. Zum ernstzunehmenden Filmemacher seit ELE-PHANT und LAST DAYS ohnehin, aber jetzt auch wieder nach Portland, jenem Ort, an dem amerikanische Jugend trotz Metropolenstatus und Pazifiknähe besonders desillusioniert und abgekapselt wirkt. Filme wie THE GRAFFITI ARTIST, van Sants MY OWN PRIVATE IDAHO oder MALA NOCHE siedelten ihre Geschichten hier an. In diesem Portland nun haben sich Skaterjungs ein Refugium aus Ramps, Halfpipes und Miniramps geschaffen, einen illegalen Ort zum Skaten, den sie ganz trefflich Paranoid Park nennen. Dieser findet sich unter einer der Brücken der Stadt, hier ist man unter sich, hier scheint - und so ist es auch von Christopher Doyle ganz exzellent und märchenhaft fotographiert - das reale Leben draußen zu bleiben, hier gibt es keine Bestimmungen, keine Erwachsenen, keine Klassenunterschiede, nur das Fliegen der Jungs auf den Brettern.

Dieses scheinbare Schweben wird von einem Mix aus an Stina Nordenstam erinnernder Musik und Stücken aus Fellinis JULIA UND DIE GEISTER unterstrichen und zudem von einem französischen Flüstern unterlegt. An diesem fast magischen Ort treffen sich die Skaterjungs, die Trainhopper, die Guitarpunks, die Go-Away-Kids, wie Alex sich und sie beschreibt. Auch er verbringt hier einen Teil seiner Zeit, hier nahm die Katastrophe ihren Lauf, die Alex aus der Bahn zu werfen droht, eine Katastrophe, die von der Polizei derzeit als Unfall oder Mord inspiziert wird. Alex weiß genau, wie es geschah, als er sich der Gang um Scratch anschloß, um auf Züge zu springen. Er weiß genau, daß plötzlich ein Wachmann auftauchte und kurz darauf zu Tode kam ...

Wie in den meisten Filmen Gus van Sants steht auch hier wieder im Zentrum ein junger Mensch, dem große Last aufgebürdet wird, der unsicher nach Wegen der Kommunikation sucht, der trotz seiner Jugend zu extremem Erwachsensein gezwungen ist. Es geht wieder um den schwierigen Umgang mit Schuld. Van Sant versteht es dabei perfekt, in diese Jungenwelt aus Brettern, Baggys, schlurfendem Gang und textlicher Monotonie aus "Two Cheeseburgers And A Chocolate Shake" einzutauchen. Mädchen, die an übergroßen Kaffeetassen hängen, mit verhauenem Kajalstrich, schwarzen Fingernägeln und in überlangen Pullovern, diese Mädchen bilden das dürftige Gegenstück. Und einer dieser pickligen Avril-Lavigne-Klone könnte für Alex, diesem großen Jungen mit dem traurigen Mädchengesicht, zur Erlösung werden. So kompliziert einfach ist Portland! Nicht seiner Freundin Jennifer, die nur einen Entjungferer suchte, nicht seiner fürsorglichen und frisch geschiedenen Mutter, nicht dem engsten Freund Jared, sondern der kleinen Macy kann er sich anvertrauen.

Mit den Blicken in das verzweifelte und zugleich kalt wirkende Gesicht Alex’, mit den geschickt montierten Vor-, Rück- und Wiederholungsblenden, der obligatorischen langen Duschszene und den zwischengeschnittenen 70er-Jahre-mäßig verblaßten und eine flirrende Freiheit suggerierenden Video8-Aufnahmen von tollkühnen Jungs auf ihren fliegenden Brettern zielt Gus van Sant auf das ganz große, auf das vielleicht unstillbare Bedürfnis einer verunsicherten und zum Teil auch gemaßregelten Jugend: die Sehnsucht nach Verständnis, nach irgendeiner Zugehörigkeit, dem Wunsch nach Normalität. Und weil sich Gus van Sant in jeder Wertung zurücknimmt, weil dadurch das Denken der Teens verstehbar wird, weil man derart tief in die Seele von Alex blicken darf, genau deshalb kriegt man auch ein wenig Angst. Angst vor den Kindern Amerikas, Angst vor ihren vertuschten Geheimnissen.

Originaltitel: PARANOID PARK

F/USA 2007, 81 min
Verleih: Peripher

Genre: Drama, Erwachsenwerden, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Gabe Nevins

Regie: Gus van Sant

Kinostart: 29.05.08

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.