Am Anfang steht eine mutige Bettszene: Sie ist konventionell gefilmt und auch nicht sehr explizit, aber sie zeigt zwei deutlich übergewichtige Menschen beim Sex. Das ist im Mainstreamkino ein kleiner Tabubruch. Andrés Almeida und Daniela Rincón haben eben nicht die üblichen „normal“ schlanken Darstellerkörper. Der Einstieg weckt Hoffnung auf einen Film jenseits gängiger Klischees und Erzählweisen über „Dicke.“
Carmen und Alfredo, beide in ihren 30ern, sind schon seit der Schulzeit zusammen. Ihr Leben in Satélite, einem ruhigen Vorort von Mexiko-Stadt, fließt gemütlich dahin. Doch dann bekommt Alfredo einen attraktiven Job in Mexiko-Stadt. Carmen ist wenig begeistert vom Umzug, läßt sich aber ihrem Mann zuliebe darauf ein. Angekommen im neuen Zuhause, sind die beiden plötzlich nur noch von schlanken und attraktiven Leuten umgeben. Carmens Selbstbewußtsein saust in den Keller. Sie will es wieder mal mit einer Diät probieren und überredet Alfredo mitzumachen. Doch während Carmen bereits nach kurzer Zeit vom Abnehmdruck frustriert ist und auch sonst nur noch gelangweilt zu Hause herumsitzt, entpuppt sich ihr Ehemann als wahres Abnehmwunder. Die vormals so eingespielte Beziehung gerät aus dem Gleis.
Mexiko ist laut UNO das Land mit den meisten Übergewichtigen weltweit, 70 Prozent der Bevölkerung sind adipös. Da liegt es nahe, einen Film mit schwergewichtigen Darstellern zu drehen. Und seien wir ehrlich, in wievielen Filmen kommen Dicke vor? Und wie werden sie dargestellt? Die Mehrzahl teilt sich in drei Kategorien: den fiesen, den dummen und den hilfsbedürftigen Dicken.
PARAÍSO von der mexikanischen Regisseurin Mariana Chenillo versucht, diesen Klischees zu entkommen, durchbricht sie jedoch nur bedingt. Pluspunkt: Erfolg und Attraktivität werden nicht ans Schlanksein gekoppelt. Die hübsche Carmen darf bleiben, wie sie ist und muß nicht erst zum Hungerhaken werden, um ihr Glück zu machen. Auch die Abnehmindustrie wird aufs Korn genommen, die vor allem davon lebt, ihre Kunden zu demütigen. Trotzdem gibt es etliche bloßstellende Szenen, beispielsweise, wenn Carmen in einem Yogakurs kläglich versagt.
Es hätte eine sympathische Komödie mit Problembewußtsein werden können, aber so richtig mag der Funke nicht zünden. Statt eine eigene Handschrift zu entwickeln, hat Chenillo ausgiebig im Filmbaukasten gekramt. So mäandert ihr Werk unentschieden zwischen Komödchen und Dramolette.
Originaltitel: PARAÍSO
Mexiko 2013, 106 min
FSK 6
Verleih: Arsenal
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Andrés Almeida, Daniela Rincón, Camila Selser
Regie: Mariana Chenillo
[ Dörthe Gromes ]